Buchrezension von Raimund Dietz zu “Geldkritik – Theorie, Motive, Irrtümer” von Ulrich Busch: Abhandlungen der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften, Band 65, September 2020, 400 Seiten. Zu beziehen über den Trafo-Verlag, info@trafoberlin.de zum Preis von 36,80 Euro.
„Alles, was ist, endet. Nur das Geld ist ewig […] Dies ist das einzige, das nicht endet, dass nie endet […] das Geld ist unsterblich, es wird uns alle überleben und als einziges übrig bleiben […] kein Geld wird es nicht geben.“ E. Jelinek, Zitat bei Busch, S. 350.
Geld ist etwas sehr Praktisches. Jedes Kind weiß, wozu es da ist. Bei den Erwachsenen kann man nicht so sicher sein. Sie verwenden alltäglich Geld, aber wenn sie beginnen, über Geld zu reden, könnte man glauben, man lebe in Babylon. Die Verwirrung ist unendlich. Zur allgemeinen Verwirrung gesellt sich eine eigenartige Distanz zu Geld, die in keinem Verhältnis zu dessen praktischer Bedeutung für den wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Alltag ist. Busch greift dieses Distanzhafte auf und betitelt seine Arbeit als „Geldkritik“.
Die von ihm zitierten und analysierten Ansichten lesen sich häufig wie „Ansichten eines Clowns“. Man müsste darüber lachen, wenn es nicht so ernst wäre. Es wurde schon oft auf die Parallele von Sprache und Geld hingewiesen. So wie die Menschwerdung des Menschen mit der Entwicklung von Sprache verbunden ist, so gilt das auch in gewisser Weise für Geld. Geld ist der Katalysator für menschliche Evolution. Oft wird Geld aber so dargestellt, als ob es sich um eine Sünde handelte, deretwegen er aus dem Paradies vertrieben wurde. Die Vermutung, dass das Gegenteil der Fall sein könnte, gilt auch heute noch als Provokation. Busch handelt aber auch Autoren ab, die eine realistische Perspektive auf Geld entwickelt haben. Dazu gehören Zwingli, Goethe und Georg Simmel. Dieser Philosoph, neben Max Weber Mitbegründer der Soziologie, schrieb sogar sein tiefgründigstes Werk über Geld.
Als früherer DDR-Ökonom hat Busch allen Grund, sich mit Geld auseinanderzusetzen, bemaß man doch den Fortschritt des Sozialismus daran, Ware-Geld-Beziehungen so weit wie möglich zurückzudrängen und Geld, wenn nicht schon abzuschaffen, so ihm doch seine Wirksamkeit zu nehmen, und an die Stelle der Macht des Geldes die Macht der Partei bzw. des Politbüros zu setzen. Die ideologischen Grundsätze, die von Marx vorgegeben wurden oder auf die man glaubte sich berufen zu können (ein Unterschied, der durchaus nicht trivial ist), standen mit den Funktionsanforderungen einer modernen Wirtschaft in Konflikt. Mögliche Lernprozesse wurden aber stets von den Wächtern des dogmatischen Sozialismus unterbunden – solange, bis der Sozialismus an seiner sklerotischen Dogmatik zerbrach – und der Kapitalismus, zumindest in der DDR von außen eingeführt und aufoktroyiert wurde. (In anderen Ländern des Sowjetblocks reorganisierte er sich dann eher spontan.) Offenbar ist Busch im Nachhinein bemüht, vitale, politökonomische und theoretische Fragen zu klären, die ihm innerhalb des „Sozialismus“ zu klären verwehrt waren. Der große Aufwand, den er betreibt, um die meist „clownhaften“ Ansichten über Geld zusammenzuführen, ist nur Vorbereitung für sein Anliegen einer späten Versöhnung mit Geld.
Der moderne Sozialismus fiel durchaus nicht vom Himmel. Marxens komplizierte (übrigens kaum lesbare) Theorie kam nur der Geldfeindlichkeit entgegen, die über Jahrtausende von Philosophen, Literaten, Soziologen und der Kirche geprägt und gepflegt wurde, womit der Boden für den „negativen Geldfetischismus“, den Marx noch toppte, gründlich vorbereitet wurde. Busch verweist in diesem Zusammenhang ausführlich auf die Geldlehre des Aristoteles, dessen Unterscheidung zwischen Oikonomia und Chrematistik bis in die heutigen Tage nachwirkt und noch heute benutzt wird, zur einfachen Verwendung von Geld Ja, aber zur kapitalistischen Verwendung entschieden Nein zu sagen. Dabei wird aber oft übersehen, dass Oikonomia die Lehre von der Hauswirtschaft ist, nicht aber eine Lehre von der Wirtschaft sein kann. Busch handelt auch ausführlich die Dogmatik der katholischen Kirche zu den Fragen über Geld und vor allem Zins ab, verweist aber auch auf die Rolle der Kirche bei der Entwicklung wichtiger Finanzinstitutionen, die sie als weltweit wirkende Macht benötigte. Das wirtschaftliche Leben zeigte sich schließlich stärker, und die Zinsnahme setzte sich durch. Man lernt von Busch unter anderem, dass während des Zinsverbots als Normalzins 20% (!) angesehen wurde. Nach Aufgabe des Zinsverbots zeigten die Zinsen fallende Tendenz. Mit der Neuzeit, die Busch im Übrigen bereits auf 1300 vorverlegt wissen will – damals entstanden die großen italienischen Banken und entstand das Handelskapital – hörte das Eindreschen aufs Geld nicht auf. Der sprachgewaltige Luther tat sich mit heftigen Tiraden gegen das Geld besonders hervor. Eine besonnene und kluge Haltung nahm hingegen Calvin ein, der die friedensstiftende Rolle des Geldes erkannte. Geld-Lob hörte man vor allem von Praktikern und von Machern – insbesondere in der Zeit des Merkantilismus, kaum von Theoretikern. Gerade auch in der bürgerlichen Gesellschaft, die auf Geld beruht, gehört es zum guten Ton, von Geld nichts zu verstehen, auf das Geld zu schimpfen und leichtfertig auf seine Abschaffung zu hoffen. Richard Wagner, der sich viel Geld von anderen lieh, ohne es je zurückzuzahlen, tat sich da besonders hervor. Busch interpretiert den „Ring“ als Geschichte, die erzählt, wie Geldmacht (d.h. Macht über Gold) aus dem Verzicht aus Liebe entspringt.[1]
Nachdem also der Boden so gut vorbereitet wurde – und die Geldfeindlichkeit sich im Übrigen noch immer fortsetzt –, muss man bemüht sein, da etwas zurechtzurücken und „in Ordnung“ zu bringen. Dieser Aufgabe stellt sich Busch mit all seiner Intensität und seinem umfänglichen Wissen aus Jahrzehnte-langer Geldforschung.
Es ist sehr wichtig, dass es Wissenschaftler gibt, die sich der Würdigung des Geldes annehmen und sich mit der großen Illusion auseinandersetzen, welche die Gesellschaft – seit man überhaupt von einer solchen sprechen kann – begleitet: dass es ohne Geld gehen müsse und vielleicht noch besser. Dies ist ja der Hintergrund seines Buches „Geldkritik“. Eigentlich ist es ein Buch der Kritik der Geldkritik, oder sagen wir mit seinen Worten, der Kritik am „negativen Geldfetischismus“. So wie die Neuzeit die Sexualfeindlichkeit überwand, so geht es in der neuen Zeit darum, den verlogenen Geldexorzismus zu überwinden. Dies ist notwendig, um wieder die Herrschaft über Geld zu erlangen. Die Geldfeindlichkeit steckt überall, gerade auch in Schriften, die über Geld kein Wort verlieren. Die Kritik an der Geldkritik setzt da ohnehin erst meist da an, wo ein gewisse Annäherung an Geld bereits stattgefunden hat.
Busch setzt sich mit der Geldfeindlichkeit als Marxist auseinander, also als besonders Betroffener. Nichtmarxisten geht das aber genauso an. Denn auch die nichtmarxistische Welt hat mit ihrer, wie Busch es nennt, anti-monetären Haltung intellektuell das Experiment des Sozialismus herbeigerufen, das von sehr vielen gar nicht als Experiment, sondern als logische Konsequenz ihres Begriffs von Rationalität empfunden wurde. Nicht zu Unrecht konstatierte Ludwig v. Mises in den zwanziger Jahren, also knapp nach dem Ersten Weltkrieg, in welcher das Bürgertum den Feudalismus überwunden und sein Ziel erreicht hatte, eine Kollektivismus-Besoffenheit. Und dass es einen „Sozialismus“ dann auch gab, daran fand man auch im „Westen“ gar nichts Außergewöhnliches. Und bald fürchtete man sogar, von ihm eingeholt zu werden. Nachdem er ganz unerwartet 70 Jahre nach seiner gewaltsamen Entstehung ziemlich gewaltlos zusammenbrach, will niemand mehr etwas von ihm wissen; man will schon immer gewusst haben, dass er zu Nichts taugte und schon immer zum Untergang geweiht war.
Alle Welt behauptet, stets aus der Geschichte Lehren ziehen zu wollen. Aus dieser Geschichte, an der die Welt physisch beinahe zugrunde gegangen wäre, wurden bisher noch keine Lehren gezogen. Auch wenn Busch sie nicht direkt aufgreift, polemisiert er doch gegen die alte Verlogenheit in Bezug auf die Existenz und die Funktion des Geldes in der Gesellschaft. Mehr als problematisch dabei ist, dass er bei Marx Orientierung zu finden sucht, der die schon vor ihm bestehende Verwirrung noch um Potenzen steigerte, was Busch wahrscheinlich in Abrede stellen würde.[2] Zu sehr ist er dem „Alten“ ergeben und hält ihn für einen großen Weisen. Für mich ist er nur ein Großer, aber nicht ein Weiser.
Aber ohne Überwindung der falschen Marxschen Position ist m.E. kein wirklicher Fortschritt zu erreichen. Von der Mainstream-Ökonomik ist dies definitiv nicht zu erwarten. Denn sie ist in Gleichgewichtskonzepten stecken geblieben, die implizit von der Gesellschaftlichkeit der Gesellschaft abstrahiert und folglich zu Geld keinen Bezug gewinnen kann. (Für die Herstellung eines Gleichgewichts ist der Auktionator, nicht Geld zuständig. Die Annahme eines Gleichgewichts schließt Geld aus.) Daher ist es auch nur logisch, dass der Mainstream Geld schlicht für neutral erklärt. Dies war schon bei den Klassikern so, in der Neoklassik ist dies noch viel deutlicher geworden.
Was wir also brauchen, ist eine Auseinandersetzung mit Marx, in dessen Theorie die Geldfeindlichkeit der gesamten abendländischen Tradition kulminiert. Wenn Marx sich mit Geld und Geldformen befasste und dabei erstaunliche Erkenntnisse gewann, dann deshalb, weil er erkannte, dass Geld das Movens bürgerlich-kapitalistischer Vergesellschaftung ist, welche er deren Entfremdung wegen einerseits heftig ablehnte, zugleich aber willkommen hieß, weil er der festen Überzeugung war, der Kapitalismus würde mit Naturnotwendigkeit aufgrund der ihm innewohnenden Widersprüche den Kommunismus hervorbringen. Marx ist also nicht ein simpler, sondern sehr raffinierter Geldkritiker. Er lobt Geld, nur um es später morden zu können.
Um Marx zu retten, will Busch strikt zwischen Geld und Kapital unterscheiden.[3] Damit will er Geld aus der Schusslinie marxistischer Kritik am Kapitalismus nehmen. Die Einsicht in die Notwendigkeit des Geldes, die Busch als ehemaliger Mitarbeiter der Staatsbank der DDR gewann, zwingt ihn aber, für die Beibehaltung von Geld einzutreten. Der Kapitalismus selbst, oder das Kapitalverhältnis ist für Busch aber nach wie vor verwerflich. Mit anderen Worten: seine linke Identität zieht sich aus der Geldkritik zurück und will nur mehr Kapitalkritik sein. Nun beklagt Busch nur mehr den Geldexorzismus, den Kapital-Exorzismus belässt er bei.
Aus marxistischer Sicht ist dies aber inkonsequent. Marx beginnt mit der Analyse des Tausches und der Ware, leitet Geld aus dem Tauschverhältnis (als allgemeines Äquivalent ab), um dann zum Begriff des Kapitals zu kommen – als Wert, der zur Verwertung drängt. Tausch, Geld und Kapital stehen bei Marx in einer aufsteigenden Reihe – aus Tausch folgt Geld, aus Geld Kapital.[4] Da das „Kapital“ Marx ein Dorn im Auge ist, ist es nur konsequent, wenn er mit dem Kapital das Geld, und mit dem Geld auch den Tausch beseitigt wissen will.
Das Problem der Marxschen Logik ist, dass sie auf die Vernichtung der Gesellschaft hinausläuft. Jede Großgesellschaft ist eine Bürgergesellschaft. Eine Bürgergesellschaft trägt immer auch kapitalistische Züge (auch die soziale Marktwirtschaft ist/war kapitalistisch). Wer den Kapitalismus nicht will, muss Geld beseitigen. Wer Geld nicht will, auch den Tausch vernichten; wer diesen vernichtet, muss an dessen Stelle einen allmächtigen Auktionator oder Generalsekretär setzen. Das bedeutet letztlich Sklaverei. Wenn es nur in einigen Phasen der Sowjetmacht zur Versklavung großer Teile der Bevölkerung gekommen ist, dann nur deshalb, weil die Sowjetführung dem „negativen Geldfetischismus“ (= Messung des Fortschritts zum Sozialismus am Grad der Abschaffung des Geldes) selbst Grenzen gesetzt hat (und aus praktischem Zwang von der Marxschen Linie abwich). Im Übrigen entkam auch der sowjetische Sozialismus dem Kapitalverhältnis nicht, wie die Anwendung von Produktionspreisen in der Sowjetplanung und DDR beweist.
Wenn wir dieser fatalen, menschenfeindlichen Logik Marx‘ entkommen wollen, müssen wir den Kapitalismus „akzeptieren“; damit akzeptieren wir Geld und Tausch ganz selbstverständlich. Dies ist zumutbar, denn das Kapitalverhältnis zu akzeptieren, heißt noch lange nicht, den Kapitalismus zu einem Gott zu machen. Es heißt aber umgekehrt, auf einen Kapital-Exorzismus zu verzichten. M.E. ist es ganz unmöglich, Menschen, die über Geld verfügen, davon abzuhalten, ihren Geldwert vermehren zu wollen. Der Trieb des Mehr gegenüber einem Weniger ist in der „Natur“ angelegt und er kann sich beim Geld natürlich ausleben. Daher kann es nur darum gehen, diese Verhältnisse einzuhegen und vernünftig zu gestalten. Sozialistische oder sozialdemokratische Politik würde dann heißen: den Kapitalismus vor den Kapitalisten zu schützen und die kapitalistische Dynamik für das Gemeinwohl zu nützen.
Der nötige Schritt in der Theorie besteht folglich darin, Kapitalverhältnisse im Prinzip zu akzeptieren und damit den Utopismus zu überwinden, der seine Vertreter in eine so große Ferne zur Gesellschaft bringt, dass man übersieht, was man in der Gesellschaft tun kann und tun muss, um sie zu gestalten.
In der Moderne gibt es zwei sehr unterschiedliche Utopien. Die Utopie des Mainstreams besteht darin, zu behaupten, man befinde sich im Wesentlichen schon dort: Man müsse nur alles dem Markt überlassen. Dann würde sie sich von selbst einstellen. Die Utopie des Marxismus zielt auf die Überwindung der Gesellschaft durch die Beseitigung des Marktes und der Errichtung einer gesamtgesellschaftlichen Planwirtschaft. Beide Utopien, insbesondere die letztere, haben verheerende Wirkungen. Die des Mainstreams die, Geld für neutral zu erklären und an den Markt zu glauben, ohne eine Markttheorie zu haben; die von Marx, weil er etwas ganz Unmögliches als das Bessere in Aussicht stellt.
Eben das vermisse ich bei Busch: dass er nicht auch Marx seiner Kritik unterzieht und dass er ihn selbst dort verteidigt, wo dieser irrte. Erstens irrte Marx in der generellen Haltung gegenüber der Gesellschaft. Indem er sie aus der Perspektive auf deren Überwindung hin analysiert, hat er für die Sorgen der Menschen, die in dieser Welt leben, wenig übrig, vor allem auch kein Mitleid. Für ihn, den Utopisten, muss es erst schlechter werden, bevor es besser werden kann. Moralisches Getue liegt ihm fern. Ein wenig ist dies auch noch bei Busch zu spüren, der die moralische oder auch emotionale Kritik an Geld ablehnt. Aus individueller Sicht hat die Geldkritik seit jeher eine wichtige Funktion und wird sie weiter behalten: das Interesse des Menschen vom Besitz auf materiellen Reichtum auf seine geistige Bestimmung zu lenken; zur Mäßigung anzuhalten etc.
Auch für Geldreformen, also auch Reparaturen ist Busch nicht so recht zu begeistern, kommt es doch letztlich auf die große Veränderung, die Überwindung des Kapitalverhältnisses an. Die Geldreformer stellt Buch pauschal unter Verdacht, dem Geld einige Geldfunktionen wegnehmen zu wollen, es also in gewissem Sinn zu kastrieren. Das mag für viele, z.B. für die Freigeldbewegung, die sich auf Gesell beruft – auch ihm widmet Busch einen größeren Abschnitt – zutreffen, aber nicht für das Vollgeldkonzept, das dem Geld nichts wegnehmen, sondern das Geld zu dem machen möchte, was es seiner Natur nach ist: ein allgemeines Äquivalent, ein generelles Mittel zum Ausgleichen – ganz zu dem also, wie Marx Geld aus seiner Wertformanalyse heraus Geld definierte. Dann kann es aber nicht Kreditgeld sein, wie Busch es in Anhänglichkeit an heterodoxe Traditionen nennt. Bisher konnte mir noch niemand sagen, was eigentlich Kreditgeld ist. Ist das in meinem Besitz befindliche Geld etwa ein Kredit? Oder schulde ich etwa jemanden etwas, wenn ich Geld besitze? Mit Geld hält man nur Kaufkraft in der Hand. Kaufkraft heißt, man kann erwarten, dass man etwas kaufen kann, hat aber mit Geld keine Forderung oder keinen Anspruch gegen ein bestimmte Person. Indem sich aber Busch dem heterodoxen Sprachgebrauch anschließt, und sagt: Geld ist Kreditgeld, sieht er – obwohl ehemaliger Nationalbanker – in Geschäftsbanken die natürlichen Geldschöpfer. Ich denke nicht, dass dies im Sinne einer sozialistischen, gemeinwohlorientierten Politik ist.
Marx war ein ausgesprochenes Alpha-Tier. Jeden seiner potentiellen Konkurrenten biss er weg. Damit hat er das Lagerdenken sehr gefördert. Busch pflegt einen kulanten Ton. Aber Marx muss er in jedem Fall verteidigen, auch dort, wo er unrecht hat oder heillos veraltet ist. Das ist in der Rezeption Georg Simmels gut erkennbar. Dessen „Philosophie des Geldes“ müsste Buschs Anliegen, die Überwindung einer übertriebenen Geldfeindlichkeit, eigentlich sehr entgegenkommen. Denn Simmel sieht deutlich, wie eng Gesellschaft und Geld verknüpft sind. Gesellschaft ist bei ihm Geldgesellschaft, und Geld ihr wichtigstes Medium – ihre innere Seele. (Ohne Geld gibt es bei ihm keine Gesellschaft.) Gleichwohl sieht Simmel, ähnlich wie Marx, auch dessen Schattenseiten. Schattenseiten – Entwicklung hat stets auch Schattenseiten – darf man aber nicht mit Ambivalenz verwechseln, die Busch, wie die meisten Kritiker, dem Werk Simmels andichtet. Simmel steht durchaus nicht ambivalent zu Geld, weil Geld Symbol der Moderne ist, deren Alternative nur Rückfall in alte Zeiten bedeuten würde. Geld ist freilich ein permanenter Unruhestifter, ein Zersetzer alter Strukturen, ein Element, das Rationalität in das Handeln vieler bringt. (Der Mainstream setzt diese Rationalität einfach voraus.) Während Geld viele begünstigt, benachteiligt es andere. Aufs Gesamte gesehen treibt es aber die Evolution in Richtung auf Zivilisierung und Objektivierung voran. Es setzt den Prometheus frei – so dass es einem ganz schwindlig werden kann.
Zwischen Marx und Simmel gibt es, wie Busch zugibt, viele sprachliche und inhaltliche Übereinstimmungen. Was aber Simmel entschieden ablehnt, ist die Utopie einer geldlosen Gesellschaft, und dies aus Einsicht in deren funktionale Erfordernisse. (Simmel ist daher durchaus auch als Ökonom und nicht nur als Kulturtheoretiker zu werten, wie Busch es tut.)
Marx vertrat als Geldtheoretiker die unhaltbare und inzwischen völlig veraltete Auffassung, dass Gold (oder Silber) das wahre und eigentliche Geld sei. Simmel entwickelt eine viel fortschrittlichere Auffassung und interpretiert die Geschichte des Geldes sogar als einen Prozess der Entsubstanzialisierung und der Hinwendung zu reinem Funktionsgeld – und dies zu einer Zeit, in welcher der Goldstandard seinen Siegeszug antrat: „Die Steigerung der intellektuellen, abstrahierenden Fähigkeiten charakterisieren die Zeit, in der das Geld immer mehr zu reinem Symbol und gegen seinen Eigenwert gleichgültig wird.“ (Simmel, Zitat Busch 252). Für diese Erkenntnis straft Busch Simmel ab, indem er ihn als Sympathisant der Neoklassik positioniert, die aber, wie Busch einige Seiten später selbst zugibt, gar keine Geldtheorie hätte: es ist „dieser bis heute nicht gelungen, das Geld systematisch in ihr Lehrgebäude zu integrieren.“ (ib: 255)
Offenbar ist es die Nähe zu Marx, die verhindert, dass Busch Simmel theoriegeschichtlich angemessen einordnet. Da Simmel, wie Busch doch einsieht, weder ein Neoklassiker noch ein Marxist ist, sieht er in ihm ein „Aliud“ – einen Fremdling. In der Tat: Simmel ist bisher für die Theorie, die Marxsche miteingeschlossen ein Fremdling geblieben. Diese Fremdheit liegt aber mehr an der Theorie als am Realist Simmel. Denn für die Theorie blieb Geld bisher ein fremdes oder zumindest störendes Phänomen. (Der Mainstream hat Geld nur aus seiner Methodik eliminiert. Marx wollte es wirklich vernichtet sehen.) Das ist der pathologische Zustand der Theorie, den es endlich zu überwinden gilt. – Wir müssen Geld beherrschen lernen. Das geht nicht, wenn wir es als neutral erklären oder so tun, als ob es vernichtet werden könnte.
Busch hat uns eine große Fülle wertvollen Material aufbereitet, den entscheidenden Schritt ist er nicht gegangen.
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Über den Gastautor: Raimund D i e t z
1944, Hall in Tirol, Dr. rer. pol, Dipl. Vw., Studium in Innsbruck und Berlin, Ökonom und Geldphilosoph, Berater osteuropäischer Regierungen, Coach und Trainer, bis 1997 am Wiener Institut für Wirtschaftsvergleiche als Sozialismus- und Transformationsexperte tätig, erkannte – gerade deshalb – die Bedeutung des Geldes für die moderne Gesellschaft, zugleich aber auch deren Unwillen, sich mit ihrem mächtigsten Medium auseinanderzusetzen. Jeder jagt dem Geld hinterher, niemand, auch die Wirtschaftswissenschaften, will von Geld etwas wissen! Kein Wunder, dass es uns im Griff und uns in der Finanzkrise voll erwischte. Raimund Dietz hat sowohl den Zusammenbruch der Sowjetsozialismus als auch die Finanzkrise vorausgesagt. Er ist Autor von „Geld und Schuld ‑ eine ökonomische Theorie der Gesellschaft, 6te Auflage, 444 S. und hat vor vier Jahren „proVollgeld“, einen Verein zur Verbreitung der Vollgeldidee gegründet. Er ist verheiratet mit Monika Dietz (Psychotherapeutin), 3 Kinder. 8 Enkelkinder und lebt in Perchtoldsdorf/Wien.
www.raimunddietz.com www.proVollgeld.at
[1] In Ergänzung möchte ich auf folgendes Zitat hinweisen: „Wir werden erkennen, dass die menschliche Gesellschaft durch die Tätigkeit ihrer Glieder, nicht aber durch die Tätigkeit des Geldes erhalten wird: wir werden den Grundsatz in klarer Überzeugung feststellen, und Gott wird uns erleuchten, das richtige Gesetz zu finden, durch das dieser Grundsatz in unser Leben geführt wird, und wie ein böser nächtlicher Alp wird dieser dämonische Begriff des Geldes von uns weichen mit all seinem scheußlichen Gefolge von öffentlichem und heimlichem Wucher, Papiergaunereien, Zinsen und Bankiersspekulationen. Das wird die volle Emanzipation des Menschengeschlechtes, das wird die Erfüllung der reinen Christenlehre sein.“ (Tosender Beifall) (Richard Wagner am 14. Juni 1848 in Dresden vor dem Vaterlandsverein)
[2] Sein „Referenzrahmen“ ist das von Marx geprägte „geschichtsmaterialistische Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft“ (S. 9)
[3] Marx unterstellt, dass sich Geld in Kapital verwandle. Dabei greift er auf die berühmte Formen Ware – Geld – Ware* – Geld‘‘ – Ware** … zurück, und will sagen: dass der Geldwert nach Verwertung strebt. Dieser wolle mehr Wert werden. Darin kann man Marx zustimmen. Denn Geldbesitzer sind regelmäßig bestrebt, aus dem Geld mehr Geld zu machen. (Geld heckt nach Mehrwert.) Das kann er nur, wenn er es einem anderen übergibt (und damit einen Rechtsanspruch erwirbt), oder ein Asset erwirbt, von dem er sich einen wirtschaftlichen Vorteil – monetär einen Profit – verspricht. Im strikten Sinne aber verwandelt sich Geld nicht in Kapital, sondern bleibt Geld. Kapital kann man einen Gegenstand nennen, der mit der Absicht erworben wurde, ein Mehr an Geldbetrag zu verdienen.
[4] Natürlich gibt es gelegentlichen Tausch auch ohne Geld, und Geld, ohne dass es gleich auch für kapitalistische Operationen eingesetzt wird. Eine moderne Gesellschaft ist aber immer auch eine kapitalistische, sie ist eine Geldwirtschaft, und der Tausch (gegen Geld) ist die dominante Operation.