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Rezension des führenden deutschsprachigen Fachbuchs zur Bankbetriebslehre

Das Buch Bankbetriebslehre der Autoren Thomas Hartmann-Wendels, Andreas Pfingsten und Martin Weber ist das führende Fachbuch zur Bankbetriebslehre in Deutschland. Auch in der 7. Auflage sind immer noch grundsätzlich falsche Darstellungen der Aktivitäten von Banken enthalten. Ein Gastbeitrag von Eberhard Gamm.

Leider muss ich meine Kritik an der 6.Auflage von 2016 in vollem Umfang aufrecht erhalten. Banken werden auch in der vorliegenden 7.Auflage als Intermediäre beschrieben, was sie nicht sind. Die Autoren schreiben in den Grundlagen auf Seite 11: “[Die Abbildung] zeigt, wie der Finanzintermediär “Bank” an die Stelle des Finanzmarktes tritt. Er nimmt das Kapital der Kapitalgeber in Form von Einlagen (Spar- und Termineinlagen), Anleihen und Eigenkapital auf. Weitergegeben an Kapitalnehmer wird es in Form von Krediten und Finanzanlagen.”

Dagegen antwortet die Deutsche Bundesbank in ihrer Broschüre ‘Häufig gestellte Fragen zum Thema Geldschöpfung’ auf die Frage “Kann die Bank nicht auch altes, schon früher geschaffenes Geld, z. B. Spareinlagen, weiterreichen, wodurch die volkswirtschaftliche Geldmenge nicht erhöht wird? Die Refinanzierung durch Spareinlagen ist doch gängige Praxis der Banken.” unmissverständlich:

“Tatsächlich wird bei der Kreditvergabe durch eine Bank stets zusätzliches Buchgeld geschaffen. Die weitverbreitete Vorstellung, dass eine Bank auch altes, schon früher geschöpftes Buchgeld, z. B. Spareinlagen, weiterreichen könne, wodurch die volkswirtschaftliche Geldmenge nicht erhöht wird, trifft nicht zu.”

Bei der Kreditvergabe einer Bank wird demnach kein vorhandenes Geld verliehen, sondern zusätzliches Geld geschaffen. Der Fachbegriff für diesen Vorgang lautet “Giralgeldschöpfung”. Das hätte man in allen Büchern, deren Autoren mit dem Bankwesen vertraut sind, problemlos nachlesen können, z.B. in den Büchern der Ex-Bundesbank-Direktoren Claus Köhler (“Der Geldkreislauf” und “Geldwirtschaft”) und Rolf Gocht (“Kritische Betrachtungen zur nationalen und internationalen Geldordnung”) oder in dem besonders klar formulierten Buch “Geld und Kredit” von Rudolf Stucken. In Letzterem findet man auch ein prägnantes Kapitel mit dem Titel “Die Steuerung der Geldschöpfung des Banksystems durch die Notenbank”, das von höchster Aktualität ist. Stucken begründet in diesem Kapitel, warum die Zentralbanken die Geldschöpfung der Banken nicht über die Leitzinsen steuern können. Deshalb betreiben heute (2020) alle Zentralbanken in erster Linie eine Mengenpolitik, deren wichtigste Einzelmaßnahme der Kauf von Anleihen ist.

Zurück zu den konkreten Abläufen: Das Buchgeld bzw. Giralgeld, das durch die Kreditvergabe der Banken geschaffen wird, wird im Bankwesen als “Sichteinlage” bezeichnet. Im vorliegenden Buch werden die Sichteinlagen im Kapitel D2.2 (Seite 211) zwar beschrieben, auf ihre Entstehung wird aber nicht eingegangen. Zudem fällt auf, dass in der eingangs zitierten Passage nur die Spar- und die Termineinlagen genannt werden, während die Sichteinlagen fehlen. Spar- und Termineinlagen entstehen in der Praxis aber durch die Umwandlung von Sichteinlagen in Spar- und Termineinlagen. Hier wird demnach die Quelle des Geldes — die Schaffung von Sichteinlagen durch Kreditvergabe — ausgeblendet.

Auch das im Abschnitt L (“Externes Rechnungswesen”) auf Seite 749 dargestellte Bilanzschema der Banken gemäß RechKredV ist diesbezüglich von Interesse. Es enthält auf der Passivseite unter Punkt 2 die “Verbindlichkeiten gegenüber Kunden”. Die Sichteinlagen verbergen sich hier im Punkt 2ba) unter der Bezeichnung “täglich fällige andere Verbindlichkeiten”. Das ist eine ziemlich merkwürdige Bezeichnung für die Gelder, mit denen fast der gesamte Zahlungsverkehr abgewickelt wird.

Die Autoren stolpern allerdings auch über ihre eigenen Füße, und zwar im Kapitel G mit dem Titel “Liquiditätsrisiken”. Dort liest man auf Seite 404 unvermittelt: “Die Giralgeldschöpfung als eine volkswirtschaftlich wichtige Aktivität von Banken schafft Liquiditätsrisiken folgender Art: […].”

Der Begriff “Giralgeldschöpfung” fällt nur an dieser Stelle. Eine Erläuterung, um was es sich bei dieser “volkswirtschaftlich wichtigen Aktivität” handelt, sucht man vergeblich. Auch die Kapitel A (“Grundlagen”) und B (“Theoretische Grundlagen und Existenz von Banken”) geben darüber keine Auskunft.

Das Kapitel B widmet sich der Beantwortung der Frage: “Warum gibt es überhaupt Banken?”. Diese Frage stellt sich in der behandelten Form nur, weil die Quelle des Geldes komplett ausgeblendet wird. Tatsächlich hat diese Frage eine ganz einfache Antwort, die man dem genannten Zitat auch unschwer entnimmt: Aufgabe der Banken ist die Geldversorgung mittels Giralgeldschöpfung. Die Giralgeldschöpfung ist deshalb auch nicht “EINE volkswirtschaftlich wichtige”, sondern DIE zentrale Aktivität der Banken. Der britische Ökonom Henry Dunning Macleod brachte diesen Sachverhalt in seinem Hauptwerk “Theory of Credit” auf eine einfache Formel: “A bank is not an office for borrowing and lending money. It is a manufactory of credit.” Das war auch schon immer so: Banken wurden und werden gegründet und betrieben, um die Geldversorgung sicherzustellen. Alles Andere ist Beiwerk. Historisch interessant ist, dass Macleod auch die Ausbildungsunterlagen für das 1875 gegründete “Institute of Bankers in Scotland” erstellt hat. An dieser weltweit ersten “Schule für Banker” erfuhren die Absolventen dann auch ganz unverblümt, was es mit der Aktivität von Banken auf sich hat. Davon sind wir heute meilenweit entfernt.

Fakt ist also: Der Kredit ist die Quelle des Geldes und nicht umgekehrt. Neudeutsch: “Loans create deposits”. Und seltsamerweise behandeln die Autoren den Kredit im Kapitel C auch vor den Einlagen im Kapitel D.

Das Faktum birgt Gefahren mit einer wohlbekannten Bezeichnung: Kreditblasen. Hier zeigt sich am deutlichsten, dass Banken keine Intermediäre sind. Wo sollten denn die Banken die enormen Geldmengen für die Kreditblasen her nehmen? Sie schaffen sie natürlich selbst. Da die meisten Banker das aber nicht wissen, werden sie von Kreditblasen grundsätzlich immer “überrascht”. Wären die Banken Intermediäre, müsste man statt dessen annehmen, dass “Kapitalgeber” riesige Mengen an “Kapital” zu den Banken gebracht und die Banken dieses “Kapital” weitergegeben hätten. Die Entstehung dieses “Kapitals” bliebe dabei völlig im Dunkeln.

In diesem Zusammenhang sei Adolf Weber zitiert, der 1938 schrieb: “Da die Banken bei ihren Ausleihungen nicht beschränkt sind durch die Menge der Einlagen, können sie […] Geld aus dem Nichts schaffen. […] Dieser geldschöpfenden Tätigkeit der Banken sind aber Grenzen gezogen zunächst dadurch, dass die Volkswirtschaft unter keinen Umständen auf Bargeld ganz verzichten kann. […] Weder ist das Giralgeld rechtlich definitives Geld, noch zahlungstechnisch letztes Geld, solange insbesondere die Lohnzahlungen bar erfolgen müssen. […] Anders ist es nur dann, wenn auch die Löhne durch Scheck oder durch Umschreibungen endgültig bezahlt würden.”

Hier wird man gleich auf zwei wichtige Sachverhalte hingewiesen: (1) Das Giralgeld der Banken ist kein gesetzliches Zahlungsmittel, worauf auch die Deutsche Bundesbank in ihren Publikationen immer wieder hinweist. Es ist ein Zahlungsversprechen der jeweiligen Bank, das mit der jeweiligen Bank untergeht. (2) Der Bargeldbedarf ist die wesentliche “Bremse” für die Giralgeldschöpfung der Banken. Dass die Löhne einmal unbar gezahlt werden könnten, war für Weber noch nicht vorstellbar. Auch über diese wichtigen Sachverhalte erfährt man in dem vorliegenden Buch nichts.

Es wäre noch viel zu sagen. Ich will es aber dabei belassen und abschließend nur noch begründen, warum ich dem Buch nur einen Stern geben kann. Auf meine Rezension der 6.Auflage kam der Einwand, die Frage nach der Geldschöpfung sei nur ein isolierter Punkt und der Nachweis einer fehlerhaften Darstellung dieses Punktes würde eine Herabstufung auf einen Stern nicht rechtfertigen. Dem ist entgegenzuhalten, dass auch alle anderen Geschäfte der Banken — insbesondere der sogenannte “Eigenhandel” mit Wertpapieren und Immobilien — einen völlig anderen Charakter bekommen, wenn die Banken die dafür benötigten Gelder selbst schaffen können. Wenn eine Bank z.B. eine Immobilie für 500 TEuro kauft, wird dabei ebenfalls die Geldmenge erhöht. Die Bank gibt sich in diesem Fall selbst Kredit und bezahlt die Immobilie mit dem dadurch geschaffenen Giralgeld. Das mag für manche Leser noch ungeheuerlicher erscheinen als die Giralgeldschöpfung für die Bankkunden, eine Bank ist aber immer auch ihr eigener Kunde. Die Berücksichtigung der Giralgeldschöpfung zieht deshalb sehr viel weitere Kreise, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Alle Vorgänge, denen mehr oder weniger direkt oder indirekt das Intermediär-Modell der Banken zugrunde liegt, sind neu zu beschreiben und neu zu bewerten.

Um es deutlicher zu sagen: Die heutige Bankbetriebslehre ist auf Sand gebaut.

Fazit: Wenn Sie Student sind und im Bankwesen Karriere machen wollen, ist das Buch bestens geeignet. Wenn Sie dagegen wissen wollen, worin die “volkswirtschaftlich wichtige Aktivität” der Banken besteht, wie die Banken über ihre Zentralbankkonten und den Interbankenmarkt zusammen wirken und welche Gefahren sich daraus ergeben, sollten Sie um dieses Buch einen möglichst großen Bogen machen.

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