Eine Rezension von Franz Schneider zum Buch “Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft” von Aaron Sahr, ( C.H.Beck; 1. Edition, 2022, 447 S.).
Die argumentative Gesamtanlage lässt sich als argumentativer Dreischritt beschreiben. In dem ersten (1. – 3. Kapitel) wird die Waren- oder Tauschtheorie des Geldes „entsorgt“. Geld ist keine Stellvertreter-Ware. Im zweiten (4. – 7. Kapitel) wird ein optimistisches Instrument – die „monetäre Maschine“ – entworfen und darüber reflektiert. Es soll dazu dienen, die behäbige Warentheorie „umzubiegen“ in eine Geldtheorie, die die Zukunft und die Spekulation als Chance begreift. Das Buch greift damit die aktuellen „zeitsoziologischen Fäden“ auf (siehe Hajo Jost, Spekulieren auf Zukunft). Im dritten Schritt (8. – 10. Kapitel) erfolgt eine „vorsichtige Rolle rückwärts“. Die optimistische Geldtheorie – die noch einer Bezeichnung bedarf – wird konditioniert. Man könnte auch salopp sagen, sie wird „sozial zurückgepfiffen“ und auf ihre kollektiven Verpflichtungen hin proportioniert.
Im ersten Schritt führt Sahr eine stattliche Zahl von Ökonomen und Soziologen auf, die sich alle der Warentauschlogik des Geldes unterworfen haben: Aristoteles, Adam Smith, Karl Marx, Carl Menger, Ludwig von Mieses, Georg Simmel, Talcott Parsons, Niklas Luhmann, Jürgen Habermas u.a. Auch die traditionelle Volkswirtschaftslehre und die EZB fügen sich in das Denkschema. Nach Meinung des Rezensenten hätte der Autor auch ohne Mühe Vertreter der oberen Gewerkschaftsetagen, die den engen Schulterschluss mit den traditionellen Volkswirtschaftlern üben, hinzufügen können. Sie alle eint eine Idee: Geld ohne eine Vorleistung, also mühevolle Arbeit, ist undenkbar. Leute, die das in Frage stellen (Beardley Ruml, Stephanie Kelton u.a.) – also Vertreter der Modern Monetary Theory (MMT) – werden als Menschen von einem anderen Planeten betrachtet. Die Ideologie des unpolitischen Geldes und deren Produktionsmaschine werden von den Verteidigern des Geldes als Waren-Stellvertreter nie in Frage gestellt. Zuerst muss etwas da sein, ein Vermögen, eine Ware. Und wenn von diesem etwas weggegeben wird, dann entstehen doch Schulden. Und die berechtigen dazu, Zinsen für das durch Kredit produzierte Geld zu verlangen. Wenn man sich an diese Spielregeln hält, dann ist das „richtige“ Verhältnis zwischen Gesamtgeldwert und Gesamtwarenwert nur noch ein technisches Problem. Die Preisstabilität, also die „richtige“ Inflationsquote, überwacht durch die EZB, sorgt wie von Geisterhand gesteuert dafür. Wer sich nicht daran hält, wie es immer wieder der Staat mit seiner „Druckerpresse“ tut, den trifft der Bannstrahl. Wo ist das Problem!? Die weitere Aufgabe der Geldschöpfer und ihrer Gefolgsleute besteht dann nur noch darin, das neue Geld zu verteilen. Der Rezensent hat keine Mühe, den gesamten kritischen Ausführungen des ersten Argumentationsschrittes zuzustimmen.
Im ersten Schritt bereitet Sahr auch schon den Boden für seine „monetäre Maschine“ im zweiten Schritt vor. Er verweist auf John Maynard Keynes, Josef Schumpeter, Hyman Minsky. Sie beschreiben die kapitalistische Wirtschaft als eine Reihe miteinander verbundener Bilanzen.
Bei der gesamten Lektüre der Kapitel 4 – 7 stellen sich allerdings nicht immer genau lokalisierbare Bauchschmerzen ein. Das hängt wohl damit zusammen, dass dem Leser ein Schritt von der behäbigen vergangenheitsorientierten Vorleistung zur dynamisch-modernen zukunftsorientierten „Vorleistung“ des neu geschöpften Kredit-Geldes abverlangt wird.
Die spekulative Verschuldungsfreude eines Kreditnehmers, der an den Erfolg seines Vorhabens glaubt, ist gefragt. Das kann nur durch eine atemberaubende Umfunktionierung der Vorleistung möglich sein. Sahr lädt sie ganz einfach optimistisch auf. Und das gibt der kreditgebenden Bank – egal ob Geschäftsbank oder Zentralbank – das Recht, Rückzahlungsversprechen des Kreditnehmers flugs zur Vorleistung zu erklären.
Sahr begreift die monetäre Maschine als kollektive ZahIungsinfrastruktur. Er setzt sie auf ein soziales Beziehungsgefüge auf. Nimmt diesem Gefüge allerdings seine (typisch deutschen) sentimentalen Anflüge, die durch die (überflüssige?) Unterscheidung zwischen Schuld und Schulden bedingt seien. Er pragmatisiert diese Beziehungen. Aus einem individuellen Schuldgefühl werden Schulden in der generalisierten Form des Geldes. Durch ein interdependentes Geflecht von Forderungen und Schulden ist eine nie versiegende Zahlungsfähigkeit gewährleistet. Der Kunde geht ins Fahrradgeschäft, wird zum Schuldner des Fahrradverkäufers. Der Kunde, Girokontenbesitzer, weist seine bei ihm verschuldete Bank an, die Forderung des Fahrradverkäufers zu begleichen. Die Bank kann die Zentralbank anweisen, ihre Schuld bei dem Bankkunden zu begleichen, der eine Barauszahlung verlangt. Und die Zentralbank wiederum bilanziert ihre Geldemission als Verbindlichkeit, also als Schulden. Diese werden, wie Klaus Karwat (Schuldenfreies Geld) sagt, zu ewigen Schulden, die nicht mehr beglichen werden müssen. Die Zentralbank weist den Staat an, ihre Schulden bei den Geschäftsbanken zu begleichen.
Gegen diese monetäre Maschine als kollektive Infrastruktur lassen sich kritische Einwände erheben. Werden da nicht Gläubiger-Schuldner-Beziehung idealistisch geglättet und nivelliert? Ist es nicht ein wesentlicher Unterschied, ob ich von den Kreditmachern spreche oder von denen, die Kreditbedingungen ausgesetzt sind. Für den größten Teil der Bevölkerung sind Kredite kein Zuckerschlecken. Überschuldung kann leicht ausgebeutet werden, aus Krediten werden Wucherkredite (siehe dazu Udo Reifner, Das Geld, besonders Bd. 2). Auch der Gleichsetzung dieses Schulden- und Forderungsgefüge mit einer Strom- und einer Verkehrsinfrastruktur vermag mancher Leser oder manche Leserin nur mit Vorbehalten begegnen.
Findet hier nicht auch eine fragwürdige Aneignung einer fremden Leistung in Form eines Rückzahlungsversprechens statt, welches erst noch eingelöst werden muss? Das Versprechen wird privat-rechtlich so abgesichert, dass die Schuldnerin auch bei unverschuldeter Zahlungsunfähigkeit jeden Anspruch auf schon geleistete Rückzahlungen verliert. Wird die Vorleistung nicht erbracht, dann führt das zu Pfändung, Zwangsversteigerung usw. Die Warentausch-Theoretiker haben ihre Vorleistung lügenhaft getarnt und verschleiert. Die Verfechter der monetären Maschine biegen die Vorleistung zu einer Gewinn-Illusion um, die sich die verschuldete Gesellschaft selbst vorgaukeln soll. Sahr dürfte hier eine Anleihe beim Ertragswert der Bilanz nehmen, also beim zukünftigen Ertrag, der als Gegenwartswert errechnet wird.
Im dritten Argumentationsschritt, Kapitel 8 – 10 hat man den Eindruck, dass sich Sahr der kollektiven Verantwortung und sozialen Pflichten seines maschinisierten Geldsystems verstärkt zuwendet. Das überrascht nicht unbedingt, da sich im ersten Argumentationsschritt der Darstellung der Geldschöpfung schon kritische Töne beigemischt haben.
Sahr kommt nie auf den Gedanken, aus der Kreditlogik völlig auszusteigen, wie das z.B. Klaus Karwat mit dem schuldenfreien Geld vorschlägt. Er argumentiert ganz bewusst bilanztheoretisch. Das erklärt, warum er gegen den – aus der Sicht von Karwat absurden „Doppelten Kredit“ – keine Bedenken hat. Obwohl da eine Forderung der Bank im gleichen Moment gegen eine Forderung des Kreditnehmers steht. Eine schuldenfreie Ausgabe von Geld kann keinen Platz in der bilanztheoretischen Argumentation haben. Schulden, auch wenn sie fiktiv sind, werden angesetzt. Der bilanzielle Ausgleich muss hergestellt bleiben.
Für Geschäftsbanken kann sich Sahr politisch konditionierte Kredite vorstellen. Er ist sich der Gefahr der Vermögenspreisinflation, die durch die private Geldschöpfung verursacht wird, sehr bewusst. Die Kreditvergabe ist an die Einhaltung von Umweltstandards genüpft, soziale Missstände müssen beseitigt werden, z.B. durch den Bau von preisgünstigem Wohnraum.
Wie stellt sich Sahr die Betätigung des staatlichen Geldschöpfungshebels einer Zentralbank vor? Er macht zwei Vorschläge. Sie privilegieren die Beziehungen zwischen den Bilanzen des Finanzministeriums und der Zentralbank rechtlich.
Diese hat das Recht, Staatsanleihen direkt aufzukaufen/anzukaufen. Das Guthaben wird direkt in der Bilanz des Finanzministeriums ausgewiesen. Der „Umweg“ über den Kapitalmarkt entfällt. Wir haben es mit einer direkten Staatsfinanzierung zu tun. Die Anleihen werden in der Zentralbankbilanz noch als Schulden verbucht, was aber faktisch auf Zinsfreiheit hinausläuft. Die von der Zentralbank erhobenen Zinsen wandern ja wieder später in die Staatskasse.
Eine weitere Form der Privilegierung besteht darin, dem Finanzministerium das Recht zu geben, seine Vorstellungen über die Verwendung der Anleihegelder zur Geltung zu bringen. Die Zentralbank bringt diese Vorstellungen als Bedingungen für den Ankauf der Staatsanleihe in die Verhandlungen mit den privaten Investoren ein. Lehnen diese die Bedingungen ab, kauft die Zentralbank die Anleihe nicht. Sie kauft sie stattdessen direkt auf und weist sie als Guthaben in der Bilanz des Finanzministeriums aus. Sie handelt also erst im zweiten Schritt so, wie sie es im vorgenannten Fall sofort tut.
Das Schattenbankensystem, das mittlerweile 50 % der weltweiten Kredite unter nicht regulierten Bedingungen vergibt, spielt in den Überlegungen Sahrs keine Rolle. Der Korrektheit halber muss erwähnt werden, dass die dortigen Kredite nicht in Form von neu- oder erstgeschöpftem Geld erfolgen. Sie werden dort vermittelt, d.h. die Kreditgeber handeln tatsächlich als Intermediäre. Was nicht heißt, dass dort alles bestens läuft (siehe Wullweber, Zentralbankkapitalismus).