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Buchrezension zu Alexander Hagelüken: Das Ende des Geldes, wie wir es kennen.

Rezension zu Alexander Hagelüken, Das Ende des Geldes, wie wir es kennen. Der Angriff auf Zinsen, Bargeld und Staatswährungen. (2020), Verlag C.H.Beck. Hagelüken ist Leitender Redakteur für Wirtschaftspolitik bei der Süddeutschen Zeitung.

Ein Gastbeitrag von Franz Schneider.

Kein leichtes Unterfangen, einen „roten Faden“ und ein sicheres, argumentatives Fundament in Hagelükens Buch zu finden. Zwei Umstände verunsichern mich:

Die Vorstellungen des Autors gründen fest auf der „Legende“ der intermediären Funktion von Banken und Sparkassen. Danach sammeln diese das Geld bei den Sparern und verleihen es gewinnbringend. Weitere Zitate dazu finden sich auf S.76, S.87, oder am deutlichsten auf S.109: „Nullzinsen erodieren zudem den Kern des Bankgeschäfts: Geld einsammeln, um es mit Gewinn weiterzuverleihen.“ Das ist schlichtweg falsch! Folglich wird die private Geldschöpfung von Geschäftsbanken auch an keiner Stelle problematisiert. Sie wird lediglich einmal im Zusammenhang mit dem Vollgeldkonzept erwähnt. Diese wolle diese Form der Geldschöpfung abschaffen, was zutrifft. Vollgeld wird aber mit dem 100%-Geld von Irving-Fisher in einen Topf geworfen, und sogar ein völlig abwegiger Bezug von Vollgeld zur Goldbindung wird hergestellt (S.34). Dass Vollgeld angeblich Kredite abwürgt, ist ein bekanntes, voreiliges Kritikmuster.

Die Schuldige für die Reise der Zinsen nach unten sind von Hagelüken schnell ermittelt: Die in die Sicherheit flüchtenden Sparer. Sie horten ihr Geld unter dem Kopfkissen oder deponieren es auf dem „ollen“ Sparbuch, anstatt es auszugeben oder „richtig“ anzulegen. Die Unternehmen schneiden nicht viel besser ab. Sie sind nicht fähig, die Ersparnisse durch Investitionen „aufzusaugen“ (S.76). Merkel, Schäuble und EU haben durch die Verordnung von Sparkursen im eigenen Land und durch Austeritätspolitik gegenüber den Südstaaten die Möglichkeiten zum Abtragen der angestauten Geldberge verhindert (S.123-124). Natürlich findet auch die lockere Geldpolitik der Zentralbank Erwähnung (S.95).

Am Ende des Buches kommt Hagelüken zu dem Schluss, dass nur ein Schulterschluss von Regierung und Zentralbank die Rettung aus der Krise verspricht. Nun kommt – auf einmal – den Staaten zugute, dass die Zinsen durch langfristige Trends wie Flucht in die Sicherheit, Alterung und Stagnation grundsätzlich niedrig sind. Denn so lassen sich Schuldenberge leichter finanzieren als in früheren Krisen (S.129). Keynes ist natürlich nicht weit (S.122, S.125), aber interessanter ist die Frage, ob der Autor hier womöglich an der MMT (Modern Monetary Theory) andockt, ohne das Kind beim Namen zu nennen? Der alles in allem schonende Umgang mit den „zockenden“ Reichen auf den Finanzmärkten lässt dies vermuten. Was er ihnen abverlangt ist eine „Sonderabgabe“ (S.132) oder eine „einmalige Vermögensabgabe“ (S.133) à la Piketty. Das kann so schmerzhaft nicht sein. Josef Huber schrieb dazu: „Die MMT beharrt [dagegen] darauf, Staatsschulden seien ‘keine Schulden’, dafür aber willkommene Geldschöpfung zum bleibenden Nutzen des ‘privaten Sektors’. Dass es sich dabei vor allem um den Finanzsektor und die vermögenden Schichten der Gesellschaft handelt, wird im über-aggregierten Sektorenmodell der MMT schlicht unterschlagen.“ (siehe seinen Beitrag „Modern Money Theorie – die falsche Verheißung“ auf der Webseite vollgeld.de).

Und noch eine fragliche Behauptung: „Aber in der Finanzkrise 2008, als das Vertrauen in staatliche (!!, Einfügung des Rezensenten) Währungen schwand, erlebte das private Geld eine Wiedergeburt“ (S.37). Mit privatem Geld sind hier nur Kryptowährungen gemeint. Waren es nicht gerade staatliche Währungen, die Privatbanken gerettet haben, welche sich mit ihrem Bankengeld in hochriskante Spekulationsmanöver hineingestürzt hatten? Hier werden falsche Kausalitäten in die Welt gesetzt. Und man wird den Verdacht nicht los, dass Säcke gehauen werden, damit man den Esel nicht nennen muss.

Bei der Lektüre des Buches erschließt sich nach und das Gesellschaftsbild von Hagelüken: Die „breiten Massen“ sollen endlich ihr gehortetes Geld für Aktien und Immobilien ausgeben (S. 80-93). In der unteren Hälfte der Gesellschaftspyramide haben diese aber keine oder kaum Ersparnisse. Ihnen bleiben nur Zinsprodukte. Über die zunehmende Tendenz zum Negativzins (verklausuliert „Verwahrentgelt“, S.65) werden sie schleichend ihrer bescheidenen Ersparnisse enteignet. Diesem Schicksal müssen sie sich wohl fügen. Denn der Vorschlag, der Staat müsse diesem Bevölkerungsteil Zuschüsse zukommen lassen, um ihn auch zum Anleger werden zu lassen, kann nicht wirklich ernstgenommen werden. Riester lässt grüßen. Hagelüken weist sogar selbst auf diesen Flop hin (S.91) Sagen wir es unverblümt: Die dieser Bevölkerungsgruppe zugedachte Aufgabe ist klar: Für wenig Lohn die Realwirtschaft am Laufen zu halten – zum Anlegen bleibt da wohl nichts übrig.

Das Hauptinteresse des Buches gilt jenem Bevölkerungsteil, der sich nun endlich aktiv um die Verbesserung seiner „Aktienkultur“ bemühen muss, und / oder, als Alternative, eine Immobilie erwerben soll. Der ins Visier genommene Anleger lässt sich so beschreiben: Er steckt seine ungenutzten 80 000 Euro in Aktien / einen Immobilienfonds oder nimmt einen Kredit für eine Immobilie auf. Außerdem behält er eine Liquiditätsreserve von ein paar Zehntausend Euro für den Fall der Fälle (S.92). Vielleicht verbirgt sich hinter dem landauf landab zu vernehmendem Aufruf von Banken, Sparkassen und Medien, das Geld in Aktien und sonstigen Wertpapieren anzulegen, aber nur folgendes Motiv: Hier sollen Gelder für Realinvestitionen angezapft werden, die sich in der Mittelschicht angestaut haben. Und zwar vor allem deshalb, weil sie von denjenigen, die sich auf den renditeträchtigeren Finanzmärkten herumtreiben, nicht kommen. Größte Vorsicht ist also angebracht. Das steht nicht im Buch, das sage jetzt ich als Rezensent. Auch vor dem Hintergrund, dass Aktien längst schon genauso zum Spekulationsobjekt geworden sind wie Derivate. Es wird kräftig auf Kurssteigerungen und Kurssenkungen spekuliert. Die von Hagelüken gepriesene Finanzbildung für die breiten Schichten (S. 88) wird wohl kaum genügen, den Anleger vor den Fallstricken der „Anlageberatung“ genügend zu schützen.

Der obere und oberste Teil der Gesellschaftspyramide „die Reichen“ – kommt durchaus auch ein wenig kritisch zur Sprache. Sie haben nach H. so viel Geld, dass sie gar nicht alles ausgeben können. Ob das allerdings zu „Sparexzessen“ (S.79) bei den Reichen führt, darf bezweifelt werden. Da gibt es wohl lukrativere Verwendungsmöglichkeiten, die man sicherlich nicht ignoriert.

Aber Hagelüken kommt auch zu Feststellungen, denen man mühelos zustimmen kann. Seine Ausführungen zu den Gefahren der Bargeldabschaffung (S.54-58) gehören dazu. Die zu Digitalen Zentralbankgeld mit einem Konto für jeden Bürger bei der Notenbank – dem „Königsweg zur Lösung vieler Probleme“ – ebenfalls. (S.177, 178). Auch zu dem, was über die Gefahren durch Kryptogeld (Bitcoin) und Konzerngeld (Libra) erfährt der Leser absolut Zutreffendes. (S. 136-176).

Und dennoch, am Ende bleibt dieser merkwürdige Eindruck von nicht aufgelösten Widersprüchen in der Argumentation. Ich glaube, dass es sich hierbei nicht um einen Einzelfall handelt. Möglicherweise spiegelt sich darin das allgemeine Dilemma des um eine kritische Haltung bemühten angestellten Wirtschaftsredakteurs eines großen privatwirtschaftlichen Verlagshauses.

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