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Buchrezension: Die Krise hält sich nicht an Regeln von Max Otte

Eine offene und kritische Rezension von Klaus Karwat zu “Die Krise hält sich nicht an Regeln” von Max Otte. In diesem Zusammenhang sei auch auf die lesenswerte, neue Rezension von Norbert Häring zu Max Otte verwiesen.

Max Otte war einmal ein gefragter Gesprächspartner der Medien, da er manche wirtschaftliche Krisen treffend vorhergesagt hat. Heute wird er von den Medien eher gemieden, weil er im Verdacht steht, zu „rechtslastig“ zu sein. Trotzdem hat mich sein neues Buch „Die Krise hält sich nicht an Regeln“ interessiert. Es ist in 99 Fragen gegliedert, die neben anderen die Themen Corona-Crash, Regulierung der Kapitalmärkte, Aufstieg Chinas und Bedrohung der Führungsrolle der USA, Abstieg der Mittelschicht und Gespenst des Populismus und Anlagestrategien in Zeiten von Corona behandeln.

Beginnen wir mit den Auswirkungen des Corona-Virus – für Max Otte zeigen sich da drei übergeordnete Tendenzen: Erstens die Stärkung von autoritären Regierungsformen, zweitens die Renationalisierung der globalisierten Wirtschaft und drittens die forcierte Digitalisierung unserer Gesellschaft. Zutreffend stellt Otte auch den Aufstieg Chinas dar und die aggressive Außenhandelspolitik der USA, die versucht, die amerikanische Vormachtstellung zu behaupten. Die Konkurrenz zwischen der Weltmacht USA und dem aufstrebenden China sieht er als den bestimmenden Konflikt der nächsten Jahre. Er sieht da drei mögliche Szenarien: Erstens ein neuer Kalter Krieg zwischen USA und China, zweitens ein Großer Krieg zwischen den beiden Konkurrenten und drittens eine „Stabile Großraumordnung“, in der mehrere große Blöcke nebeneinander existieren. „Und eine solche Großraumordnung wäre auch die letzte Chance für Europa und das europäische Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell. (S.130).“ Dazu bräuchte es laut Otte eine grundlegende Reform des Eurosystems, ein reformiertes europäisches Wahlrecht (ein Bürger, eine Stimme), eine gemeinsame Verteidigungspolitik und eine Politik, die europäische, nicht nationale (französische) Interessen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verfolgt. Insbesondere die Mängel in der Konzeption des Euro sieht er als bedrohlich für die weitere Entwicklung Europas an. Auch die Überschuldung sieht er kritisch – er plädiert (wie der Ökonom Daniel Stelter) für einen groß angelegten Schuldentilgungsfonds, in dem Schulden „auf Eis“ gelegt werden. Damit geht er aber das grundlegende Problem, warum es zu dieser Verschuldung gekommen ist, nicht wirklich an.

Gesamtgesellschaftlich droht laut Otte das Abgleiten zu einer „neuen Feudalwirtschaft“, in der der Mittelstand unter die Räder gerät: „Aus sozialem Fortschritt sind Rückschritt, prekäre Arbeitsverhältnisse und ökonomischer Abstieg geworden.“ Es sei zu einfach, die vielschichtigen Protestbewegungen als „Populismus“ abzustempeln. Vielmehr müsse auch der Kapitalismus jetzt grundlegend reformiert werden – als ein Element scheint ihm die Abkehr von der seiner Meinung nach übertriebenen Globalisierung vorzuschweben.  Auch die immer intensivere Ökonomisierung unserer Gesellschaft ist Otte ein Dorn im Auge. So schreibt er z.B. auf S. 163: „Der Hyperkapitalismus hat längst seinen Tribut gefordert. Immer mehr Lebensbereiche werden ökonomisiert, das heißt der Regeln von ständigem Wachstum, Rendite und Effizienz untergeordnet.“ Und wie gelingt die Durchsetzung dieser Regeln am besten: „…indem man der demokratischen und bürgerlichen Gesellschaft den Boden unter den Füßen wegzieht…..Wenn anstelle der humanistischen Bildung vor allem das technische und ökonomisch direkt verwertbare Wissen gefördert wird, fehlt den Menschen zunehmend der Rahmen, gesellschaftliche und politische Entwicklungen einzuordnen(S.165).“ Schön gesagt, doch widerspricht das nicht diametral den Anlagestrategien, die er am Ende des Buches empfiehlt (auf S.221): „Mit Aktien wie Nestlé, Coca-Cola, Microsoft oder Google kommt man gut durch turbulente Zeiten“. Es sind doch gerade diese von Otte zur Geldanlage empfohlenen Megakonzerne, die die Ökonomisierung sogar vorantreiben müssen, weil der wichtigste Maßstab ihrer Aktienbesitzer ist, einen dauerhaften Wertzuwachs ihrer Investments zu erzielen. Deswegen scheint mir das Buch am Schluss nicht konsequent zu Ende gedacht.  Aber so geht es wahrscheinlich vielen von uns: Wir haben gewisse ethische Vorstellungen, aber bei der eigenen Geldanlage spielen sie dann kaum noch eine Rolle – da zählt dann vor allem Sicherheit und möglicher Wertzuwachs. Gesamtgesellschaftlich gesehen ist eine solche Haltung aber fatal. Vergebens habe ich in diesem Buch die anfangs erwähnten rechtsextremen Positionen von Max Otte gesucht: Hat er sich in diesem Buch nur als Wolf im Schafspelz verkleidet? Dann hätte er aber seine Hoffnung nach einer zukünftigen Großraumordnung mit einem geeinten Europa als starkem Block neben USA und China wohl nicht so deutlich akzentuiert wie in diesem Buch. Aber vielleicht tritt er genau damit mächtigen Gegenspielern auf die Füße – denen er durch manch unbedachte Äußerung wohl auch selbst in die Hände gespielt hat.

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