Das monetäre Manifest – oder: außerordentliche Staatsfinanzierung ohne Banken​

von Hermann Oetjens

Zielsetzung dieses »monetären Manifests«

1. Die Unterzeichner dieses Manifestes appellieren an die deutsche und die europäische Politik, durch eine geeignete Novellierung des Art. 123 AEUV den Weg freizumachen für eine monetäre Finanzierung der außerordentlichen Finanzbedarfe, die sich aus »Notsituationen« (wie Naturkatastrophen und sonstige außergewöhnliche Notlagen – wie z.B. Coronaepidemie und Ukrainekrieg) ergeben können.

2. Es dürfte außer Frage stehen, dass die beschlossenen und zu beschließende Notprogramme im Sinne der Generationengerechtigkeit eines Ausgleichs über einen längeren Zeitraum bedürfen. Für sie gilt in besonderem Maße das Wort des preußischen Finanzwissenschaftlers Lorenz von Stein (1815-1890):

„Ein Staat ohne Staatsschuld tut entweder zu wenig für seine     Zukunft, oder er fordert zu viel von seiner Gegenwart.“

Außerordentlicher Finanzbedarf für »Notsituationen«

3. Die Schuldenbremse (Art. 109 Grundgesetz) gestattet ausdrücklich „eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen.“
„Für die Ausnahmeregelung ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen.“

4. Eine entsprechende Formulierung findet sich in Art. 122 (2) AEUV, wo es heißt:

„Ist ein Mitgliedstaat aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht, so kann der Rat auf Vorschlag der Kommission beschließen, dem betreffenden Mitgliedstaat unter bestimmten Bedingungen einen finanziellen Beistand der Union zu gewähren.“

Die europäischen Staaten sind sich also dessen bewusst, dass es Notsituationen geben kann, die nur durch außergewöhnliche finanzielle Anstrengungen überwunden werden können.

5. Derartige Notsituationen waren und sind in jüngster Zeit z.B. die Finanzkrise 2008/9, die Coronakrise, der Ukrainekrieg (und die damit zusammenhängende Energiekrise) sowie die Klimakrise, zu deren Bewältigung exorbitante Finanzmittel erforderlich sind, die mit den normalen Haushalten nicht zu bewältigen sind.
Die Programme zur Bewältigung dieser Krisen werden sich (geschätzt) auf über 2 Billionen Euro belaufen, Tendenz steigend.

6. Die Finanzindustrie darf nicht (unnötiger Weise) über die üblichen Zinszahlungen zum Krisen- und Kriegsgewinner werden.

Exorbitante Zinsbelastung

7. Die europäischen Staaten sind schon jetzt mit ca. 13 Billionen Euro an Staatsschulden belastet (davon die Eurozone mit ca. 12 Billionen). Jeder einzelne Prozentpunkt erfordert allein an Zinsen einen jährlichen Aufwand von rd. 130 Mrd., die allein der Finanzindustrie zugutekommen.

8. Die Staaten in Europa haben durch das sog. „Verbot der monetären Finanzierung“ ihre monetäre Souveränität weitgehend an den Kapitalmarkt abgegeben, indem sie sich selbst auferlegt haben, benötigte Kredite für außerordentliche Maßnahmen über den Kapitalmarkt, anstatt über die eigenen Notenbanken abzuwickeln.

Schuldenberge ohne Tilgung

9. In der Praxis hatte das dazu geführt, dass die Staatsschulden so gut wie nie nicht getilgt, sondern durch Anschlussfinanzierungen prolongiert – und damit »auf ewig« gestellt wurden.

10. Bis 2008 (dem Jahr vor dem Beschluss der Schuldenbremse) hatte das in Deutschland zur Auftürmung eines Schuldenberges in Höhe von 1.646 Mrd. Euro geführt, auf den bis dahin (bei einem durchschnittlichen Zinssatz von 4,1 %) kumuliert 1.544 Zinsen gezahlt worden waren.

11. Wären die aufgelaufenen Staatsschulden monetär über die Bundesbank/ EZB (anstatt über den Kapitalmarkt) zinsfrei finanziert worden, hätten die Schulden mit der aufgewendeten Zinslast zu 93,8% getilgt werden können. Der Schuldenstand hätte statt 1646 Mrd. (= 66,5% des BIP) nur noch 102 Mrd. (= 4,1% des BIP) betragen. – Niemand hätte darüber auch nur ein Wort verloren, und die Schuldenbremse hätte sich erübrigt.
Stattdessen hatte man sich durch das Verbot der monetären Finanzierung selbst der monetären Souveränität beraubt und sich durch das absurde Schuldenregime (über den Kapitalmarkt und ohne Tilgungen) in die Situation manövriert, die 2009 die eine Schuldenbremse nötig werden ließ.

Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB wegen Zinsbelastung

12. Damit aber nicht genug. Die Belastung der Staatshaushalte durch Zinszahlungen an den Kapitalmarkt hat in der Eurozone dazu geführt, dass die EZB sich ab 2015 genötigt sah, exorbitante Ankaufprogramme aufzulegen, die inzwischen ein Volumen von über 2,5 Billionen Euro erreicht haben.
Das ist von vielen als (nachträgliche) monetäre Staatsfinanzierung kritisiert worden

13. Auch In ihrer Zinspolitik sah die EZB sich genötigt, auf den Schuldenstand der beteiligten Staaten Rücksicht zu nehmen.
Nolens volens entwickelte sich damit die Geldpolitik zur Fiskalpolitik, für die die EZB jedoch keine Zuständigkeit hat.

Entkoppelung der Staatsfinanzen vom Kapitalmarkt

14. Es ist dringend geboten, die Staatsfinanzen strategisch aus ihrer Abhängigkeit vom Kapitalmarkt zu befreien, indem die Zuständigkeit und die Kompetenzen der EZB und der nationalen Notenbanken (NZBs) derart geregelt werden, dass eine monetäre Finanzierung von Staatsausgaben möglich werden. Dazu ist vor allem Art. 123 AEUV in geeigneter Weise zu novellieren.
Da man jedoch nicht alles auf einmal ändern kann, sollte man damit beginnen, die monetäre Finanzierung zumindest der jetzt erforderlichen Notprogramme durch die Notenbanken zu ermöglichen.

15. Die Vorteile einer monetären Finanzierung (anstelle von Krediten auf dem Kapitalmarkt) sind so offensichtlich, dass die Mitgliedsländer keine Probleme damit haben dürften, einer solchen Regelung zuzustimmen.

16. Werden gewisse Staatsausgaben direkt durch Notenbanken finanziert, entstehen für die Staaten keine Schulden in demselben Sinn, wie sie durch Kredite am Kapitalmarkt (als Staatsschulden gegenüber privaten Gläubigern) entstehen. Die Notenbanken sind ja Banken der Staaten. Würde man die Geldschöpfung der Notenbank als »Schuld« bezeichnen, würden sich die Staaten also bei sich selbst verschulden, was absurd ist.

17. Das einzige Problem, welches entstehen könnte, bestünde darin, dass eine zu große Geldschöpfung inflationär wirken könnte. Darauf beruht auch das Standardargument für das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Die Hyperinflationen der Weimarer Zeit und der NS-Zeit hätten gezeigt, dass der Politik der Gelddrucker besser aus der Hand zu nehmen ist.

18. Die Finanzkrisen der jüngsten Zeit zeigen jedoch, dass die Geldschöpfung durch Kredit der Kapitalmärkte offenbar nicht das Vertrauen verdient, welches die Befürworter des (Geld-)Marktes für sich reklamieren. – In beiden Fällen sind offenbar Regulierungen vonnöten.

Der Unfug des bisherigen Schuldenregimes: Zinsen auf Altkredite, denen schon längst kein Gegenwert mehr entspricht

19. Die derzeitigen Schuldenberge beinhalten (mangels Tilgung) prolongierte Altkredite für Investitionen, für die inzwischen mehrfache Ersatzbeschaffungen (z.B. durch Erneuerung von Autobahnen) getätigt werden mussten. Es werden also (wie der Bundesrechnungshof bereits 1990 feststellte) Zinsen auf Kredite bezahlt, denen schon lange kein realer Gegenwert mehr entspricht. Die zukünftigen Generationen haben somit »auf ewig« Lasten für vergangene Investitionen zu tragen, die ihnen keinerlei Nutzen mehr verschaffen.

20. Geht man für die Werthaltigkeit der Investitionskredite von ca. 30 Jahren aus, so bedeutet das, dass den Altkrediten bis 1992 (kumuliert: 496 Mrd) kein realer Gegenwert mehr entspricht. Die Anschlussfinanzierungen für diese Kredite fordern schon jetzt also völlig sinnlose Zinszahlungen.
Das wird sich Jahr für Jahr fortsetzen, so dass in ca. 30 Jahre nach Einführung der Schuldenbremse der bis 2010 aufgelaufene Schuldenberg (von über 2 Billionen Euro) die zukünftigen Generationen ab ca. 2040 mit Zinsen »auf ewig« für prolongierte Altkredite belasten wird, denen überhaupt kein Gegenwert mehr entspricht.

Zumindest für »Notsituationen«:
Monetäre Finanzierung ohne Zinsen – aber mit Tilgung

 

21. Die monetäre Finanzierung über die Notenbanken erfordert keine Zinsen, da in einer konsolidierten Bilanz etwaige Zinszahlungen auf der Ausgabenseite durch die Zinseinnahmen auf der Einnahmenseite kompensiert würden.

22. Sie sollte aber mit einer moderaten Tilgung (ca. 3 %) verbunden werden, damit die durch sie erfolgte Geldschöpfung in angemessener Frist zurückgeführt und dadurch etwaigen inflationären Tendenzen vorgebeugt wird. – Die zukünftigen Haushalte wären nicht »auf ewig«, sondern nur ca. 30 Jahre durch die Tilgungen belastet.

23. Es ist dringend geboten, das Instrument der monetären Staatsfinanzierung jetzt zumindest für die unausweichlichen Notprogramme einzusetzen.

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