Anknüpfend an die Jahrestagung 2017 von Monetative e.V. zum Thema “Geld. Macht. Ungleich.” soll in diesem Beitrag ein Überblick über die verschiedenen direkten und indirekten Kanäle gegeben werden, durch die das derzeitige Geldsystem die Ungleichheit verschärft und wie eine Vollgeldreform die Situation verbessern könnte.
Wie das aktuelle Geldsystem die Ungleichheit verstärkt
1) Boom/Bust-Kreditzyklen
Das derzeitige Geldsystem ermöglicht es den Banken, durch umfangreiche Kreditschöpfung Vermögensblasen und Booms anzuheizen. Dies ermöglicht im Zuge der Boomphase enorme Gewinne für die Banken selbst, für die Finanzmärkte und für die Besitzenden im Allgemeinen. Dieser Effekt kann durch kreative Buchführung (z.B. durch die Verwendung von Zweckgesellschaften, Derivaten und diversen anderen Möglichkeiten zur Aufblähung der Bilanz) verstärkt werden, um überhöhte Bilanzgewinne vorzutäuschen oder Verluste zu verbergen. Wenn die Regeln fair wären, sollte das finale Platzen einer Finanzblase dazu führen, dass die in der Boom-Phase entstandenen illusionären Erträge wieder verschwinden. Aber im derzeitigen Geldsystem sind Banken systemrelevant und zu groß, um einfach pleite zu gehen, da sie allein Geld/Kredit und die Zahlungsinfrastruktur für die Realwirtschaft bereitstellen. Wenn Banken nicht gerettet werden würden, würde die Zahlungsinfrastruktur zusammenbrechen und damit der Wirtschaftskreislauf einfrieren. Außerdem könnte eine Pleite einer größeren Bank das inhärente Risiko eines Bankruns manifestieren und zu allgemeiner Panik und einem Totalausfall des Systems führen. In logischer Folge werden Banken (und in der Folge die Anteilseigner der Banken) in der Regel vom Staat gerettet und von den Zentralbanken unterstützt “Ehatever it takes” (z.B. durch Übernahme fauler Kredite, die Bereitstellung von Notfallliquidität usw.). Die Versuche der Zentralbank, die Verbraucherpreisinflation durch Zinssenkungen zu steigern, machen das Ganze nur noch schlimmer. Von der Idee her sollen Zinssenkungen die Banken dazu anzuregen, mehr Kredite zu vergeben und damit die Wirtschaft anzukurbeln. Das Niedrigzinsumfeld befeuert aber primär Vermögens- statt Verbraucherpreisinflation, was für die “Besitzenden” noch mehr Vermögenszuwächse bedeutet und die Vermögenskonzentration weiter verstärkt. Im Ergebnis führt das Zusammenbrechen des Kartenhauses also nicht dazu, dass die illusionären Gewinne implodieren, sondern dass die Verluste auf die Regierung abgewälzt werden. Die Aufwendungen für Bankenrettungen wiederum erhöhen die Staatsverschuldung und steigern damit zukünftige Schuldenzinsen, was in der Regel Budgetkürzungen für die öffentliche Infrastruktur und für öffentliche Dienstleistungen bedeutet. Ein Nebeneffekt des Asset-Booms im Immobilienmarkt sind außerdem steigende Mietkosten für alle diejenigen, die es sich nicht leisten können, ihr eigenes Haus zu besitzen.
Kurz gesagt: Die Reichen auf Kosten des Rests der Gesellschaft noch reicher.
2) Wettbewerbsvorteile für Großkonzerne
Neben der oben dargestellten Boom/Bust bzw. Profit/Bailout-Dynamik schafft das aktuelle Geldsystem auch einen generellen Wettbewerbsvorteil für Großkonzerne im Vergleich zu kleineren Unternehmen und fördert daher eine generelle Konzentration von Marktmacht und Geldvermögen. Dies liegt erstens daran, dass die enormen impliziten und expliziten too-big-to-fail Subventionen eine Großbanken-Infrastruktur begünstigen, in der großvolumige Kredite an Großunternehmen gegenüber verwaltungsintensiveren kleinvolumigen Krediten für kleinere Unternehmen bevorzugt werden. Mit anderen Worten: In diesem Umfeld scheint es wahrscheinlicher, dass Bayer einen Mega-Kredit erhält, um Monsanto zu übernehmen, als dass ein kleines Start-up das Geld bekommt, um einen vielversprechenden Geschäftsplan umzusetzen. Das derzeit bestehende Niedrigzinsumfeld und die verfolgte Mikroregulierung des Finanzmarkts verstärken diese Dynamik und setzen vor allem kleinere Banken (die oft das eigentliche Rückgrat der Realwirtschaft bilden) unter Druck, zu fusionieren. Zweitens haben nur Großkonzerne die Möglichkeit, eigene Unternehmensbanken zu betreiben, die ihnen einen enormen Finanzierungs- und Liquiditätsvorteil im Vergleich zu kleineren Unternehmen verschaffen, welche auf externe Finanzierung angewiesen sind. Drittens hat die EZB in den letzten Jahren im Rahmen ihres “Quantitative Easing”-Programms sogar begonnen, Anleihen großer multinationaler Konzerne wie Shell, BMW oder Repsol zu kaufen, was deren Finanzierungskosten senkt und diesen einen weiteren unfairen Wettbewerbsvorteil verschafft. Viertens schafft das derzeitige Niedrigzins-Umfeld zusammen mit den obigen Faktoren das perfekte Umfeld für große Übernahmen und Fusionen, was zu noch mehr Marktkonzentration führt.
Insgesamt unterstützt das Geldsystem somit extraktive Oligopolstrukturen und die Konzentration von Marktmacht und Vermögen in den Händen von wenigen großen Konzernen auf Kosten der Allgemeinheit.
3) Wer hat, dem wird gegeben
Zusätzlich begünstigt das aktuelle Geldsystem in der Regel die Wohlhabenden, den “wer hat, dem wird (Kredit) gegeben”. Diejenigen, die aufgrund ihres bestehenden Vermögensbesitzes kreditwürdig sind, bekommen günstiger Kredite und schwimmen oft in Liquidität, was noch profitablere Investitionen ermöglicht, während es für „Nicht-Besitzende“ viel schwieriger und kostspieliger ist, einen Kredit zu erhalten. In diesem Zusammenhang sollte der sogenannte “Cantillon-Effekt” erwähnt werden, der beschreibt, wie eine Erhöhung der Geldmenge jenen Teilen der Wirtschaft zu Gute kommt, in denen neues Geld entsteht (also Finanzmärkte, große Fonds und reiche Investoren), auf Kosten aller anderen Wirtschaftssektoren, deren realer Geldvermögenswert aufgrund der resultierenden Inflation sinkt.
4) Wachstumszwang und Sockelarbeitslosigkeit
Schließlich führt die Schaffung von Geld als Kredit zu einer systemischen Knappheit des Geldumlaufs, zu einem Wachstumszwang und in der Regel zu struktureller Arbeitslosigkeit. Denn wenn die Geldmenge nicht ständig wächst, gibt es systemisch nie genug Geld, um die Kredite PLUS Zinsen zurückzuzahlen, vor allem dann, wenn ein Teil der Geldvermögen gehortet und damit der realwirtschaftlichen Geldzirkulation entzogen wird. Das führt dazu, dass entweder die Geldmenge und der entsprechende Schuldenstand kontinuierlich wachsen müssen oder es zu Pleiten, Wirtschaftsdepression und Arbeitslosigkeit kommen muss. Mit anderen Worten: Die systembedingte Knappheit des Geldumlaufs in der Realwirtschaft führt typischerweise zu struktureller Arbeitslosigkeit. Der Wettbewerb um knappe Arbeitsplätze wiederum führt dazu, dass sich die Beschäftigten in einer chronisch schlechten Verhandlungsposition befinden, gekennzeichnet durch relativ niedrige Löhne und schwache Gewerkschaften.
Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass die Kreditgeldschöpfung der Banken systemisch eine Vielzahl direkter und indirekter Auswirkungen hat, durch welche die Verteilung von Macht, Vermögen und Einkommen in den Händen der Wenigen konzentriert werden.
Faire Rahmenbedingungen und mehr Verteilungsgerechtigkeit durch Vollgeld
Im Vergleich dazu schafft ein Vollgeldsystem sehr viel fairere wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die sehr viel besser mit den Idealen einer freien Marktwirtschaft und den demokratischen Grundprinzipien vereinbar sind.
1) Volle (Übergangs-)Seigniorage für die öffentliche Hand
Erstens würde beim Übergang zu einem Vollgeldsystem eine beträchtliche Übergangsseigniorage anfallen, indem Kreditgeld durch schuldfreies Vollgeld ersetzt wird. Diese Übergangsseigniorage würde eine enorme Reduzierung der Staatsschulden ermöglichen. Eine geringere Staatsverschuldung bedeutet geringere öffentliche Zinsausgaben, was wiederum niedrigere Steuern oder bessere öffentliche Dienstleistungen und Infrastruktur ermöglichen würde, die der gesamten Gesellschaft zu Gute kommen. Außerdem würde jede Ausweitung der Geldmenge als Seigniorage-Einkommen der öffentlichen Hand zufließen und damit ein zusätzliches regelmäßiges Einkommen generieren. Die Höhe dieser regelmäßigen Seigniorage hinge vom Wachstum der Wirtschaft und dem Inflationsziel ab. Obwohl volle Preisstabilität mit Null-Inflation in einem Vollgeldsystem realisierbar wäre, wäre es auch denkbar, ein moderates Inflationsziel (2-3%) anzupeilen, da dies mehr Geldschöpfung ermöglichen würde, wodurch wiederum mehr Seigniorageeinkommen für den Staat anfallen würde. Dies würde eine Umlaufsicherung a la Silvio Gesell implizieren, da Geldhortung durch die schleichende Entwertung bestraft werden würde. Auf diese Weise würde der Cantillon-Effekt eine stetige Umverteilung von den Geldvermögenden zum Rest der Gesellschaft bewirken, anstatt umgekehrt, wie es jetzt der Fall ist.
2) Verhinderung der Boom/Bust-Dynamik und der Bankenrettungen
Zweitens könnte das Bankensystem als Ganzes nicht mehr illusionäre Booms erzeugen, indem Vermögenspreisblasen mit neu geschöpftem Kreditgeld angeheizt werden. Und da die Regierung bzw. Zentralbank Boom/Bust Zyklen sehr viel direkter entgegenwirken könnte, scheint die derzeitige hochprofitable Boom/Bust-Dynamik für Banken nicht mehr in der Form möglich. Im Allgemeinen erscheint es sehr viel unwahrscheinlicher, dass sich die Politik dafür entscheiden sollte, Banken zu retten, da die Zahlungsinfrastruktur vor Bankpleiten sicher wäre, das Dilemma der Bankruns gelöst wäre und die Geldversorgung unabhängig von der Kreditvergabe der Banken gesichert wäre. Dies bedeutet, dass, selbst wenn ein Boom entsteht, beim Knall diejenigen die Rechnung bezahlen, die dabei mitgespielt und anfangs davon profitiert haben (So wie es jetzt auch bei der Bitcoin Blase zu erwarten ist). Banken und Vermögende müssten nicht mehr gerettet werden, um eine wirtschaftliche Depression abzuwenden, denn die Wirtschaft könnte sehr viel direkter durch zusätzliche Staatsausgaben oder Helikoptergeld angekurbelt werden, was allen zu Gute käme und nicht nur den Vermögenden.
3) Faire Rahmenbedingungen für die Wirtschaft
Drittens schafft ein Vollgeldsystem allgemein sehr viel fairere wirtschaftliche Rahmenbedingungen: Da Großbanken im Vollgeldsystem bedeutend an Systemrelevanz verlieren, verlieren sie die riesigen impliziten too-big-to-fail Subventionen. Weiterhin kann dank der Zusammenführung von Risikoübernahme und Gewinnpotential im kohärenten und stabilen Rahmen der Vollgeldordnung die gegenwärtige Mikroregulierung im Bankensektor zurückgefahren werden. Dies ermöglicht, dass kleinere Banken, die der Realwirtschaft dienen, es wieder einfacher haben, mit ihren größeren Brüdern zu konkurrieren. Auch der Wettbewerbsvorteil von Unternehmensbanken würde sich aufheben. Außerdem wäre es generell schwieriger, gigantische Kreditsummen aufzubringen, da diese nicht mehr einfach aus dem Nichts geschaffen werden könnten, sondern vorher durch Ersparnisse vollständig finanziert werden müssten. Dies beseitigt den Finanzierungsvorteil für große Unternehmen und erschwert Übernahmen und Fusionen, was ein faireres Umfeld für kleinere Unternehmen schafft.
4) Vollbeschäftigung ohne Wachstumszwang
Schließlich könnten Unterauslastung der Wirtschaft und Unterbeschäftigung durch zusätzliche seigniorage-finanzierte Staatsausgaben in die Realwirtschaft (statt in die Finanzsphäre wie bisher) sehr viel direkter angegangen werden, sodass der Wachstumszwang abgemildert und Vollbeschäftigung erreichbarer wäre. Dies sollte die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer insgesamt verbessern und den Lohnanteil im Verhältnis zum Finanzeinkommen erhöhen.
Eine Vollgeldreform sollte daher insgesamt zu einer geringeren Konzentration von Marktmacht, Vermögen und Einkommen führen und die Einkommensverteilung erheblich verbessern.
Abschließende Bemerkungen
Wenngleich die Bedeutung des Geldsystems für die steigende Ungleichheit in der öffentlichen Debatte bisher kaum bekannt ist, kann bei einer expliziten Beschäftigung mit der Thematik kaum in Frage gestellt werden, dass die Geldordnung einen großen Einfluss auf die Verteilung von Macht und Reichtum ausübt. So bewirkt das gegenwärtige Geldsystem mit der Kreditgeldschöpfung der Geschäftsbanken über die skizzierten direkten und indirekten Mechanismen eine erhebliche Verstärkung der Ungleichheit. Eine Vollgeldreform hingegen könnte viele dieser Effekte aufheben und sehr viel fairere wirtschaftliche Rahmenbedingungen schaffen. Natürlich ist Vollgeld kein Allheilmittel für die zahlreichen Probleme unseres Wirtschaftssystems ist, allerdings sind viele Probleme damit leichter zu lösen. Vollgeld ist deshalb oft keine hinreichende, wohl aber eine notwendige Maßnahme.
Auch wenn einige der aufgezeigten Mechanismen auf den ersten Blick nicht mit der Giralgeldschöpfung der Banken verbunden zu sein scheinen, sind diese Teil der Logik des gegenwärtigen Geldsystems und würden in einem Vollgeldsystem wohl nicht oder nur zu einem erheblich geringeren Grad wirken. In diesem kurzen Beitrag kann natürlich nur eine sehr oberflächliche Skizze der verschiedenen Mechanismen gegeben werden. Jeder einzelne Mechanismus würde eine eigene Forschungsarbeit verdienen. Wenn jedoch eine erste Vorstellung von der Bedeutung des Geldsystems für die Verteilung von Macht, Einkommen und Vermögen vermittelt werden konnte und dies zu weiterer Forschung anregt, hat der Beitrag sein Ziel erreicht.
Darüber hinaus gibt es zahlreiche andere Faktoren, welche die weltweit zunehmende Ungleichheit bewirken und viele andere Reformideen, die mehr Gleichheit bringen könnten. Aber es erscheint politisch sehr viel schwieriger, in einem System mit unfairen Rahmenbedingungen nachträglich durch entsprechende Steuern etc. umzuverteilen und den Vermögenden ihr Geld wieder abzunehmen, als von einem (Vollgeld-)System aus zu starten, in dem von Anfang an sehr viel fairere Chancen bestehen.
Weitere Lektüre:
“Banking, Finance and Income Inequality” by Graham Hodgson/Positive Money, 2013.
“Making money from making money – Seigniorage in the modern economy”, New Economics Foundation, 2017.
“Profit opportunities for the banking system due to deposit money creation and potentials of a sovereign money reform”, Masterarbeit von Lino Zeddies, 2015.