Lesenswert: Josef Ackermann und Hans Christoph Binswanger über Geldordnung, Bankenregulierung und ökonomische Verantwortung

Ackermann und Binswanger 2

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Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank: „25 Prozent Rendite sind nötig.”

In Goethes „Faust“ gibt diese Aufforderung des Kaisers den Anstoß, Papiergeld zu schaffen. Der Chef der Deutschen Bank und sein Doktorvater Hans Christoph Binswanger loten im F.A.Z.-Gespräch aus, was uns der „Faust“ in der Krise zu sagen hat.

Herr Binswanger, Sie haben in Ihrem Buch „Geld und Magie“ Goethes „Faust“ ökonomisch interpretiert. Das ist überraschend. Hatte Goethe überhaupt Ahnung von Wirtschaft?

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Binswanger: Goethe war über zehn Jahre Wirtschafts- und Finanzminister am Weimarer Hof, und er hat sich mit diesen Aufgaben sehr intensiv befasst. Er hatte sein Ministeramt überhaupt nur deshalb erhalten, weil er schon vorher ökonomische Literatur studiert hatte. Und er war zeitlebens in Kontakt mit führenden deutschen Ökonomen der Zeit.

Hans Christoph Binswanger

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Hans Christoph Binswanger, Wirtschaftsprofessor und Goethe-Interpret: „Goethe stellt die moderne Wirtschaft im ,Faust‘ als alchemistischen Prozess dar.”

Was ist die zentrale These Ihrer „Faust“-Interpretation?

Binswanger: In der Ursage ist Faust ein Alchemist. Meine These ist, dass Goethe die moderne Wirtschaft, in der die Papiergeldschöpfung eine zentrale Rolle spielt, als eine Fortsetzung der Alchemie mit anderen Mitteln darstellt, dass die Papiergeldschöpfung einen gewissen magischen Charakter hat.

Zauberei?

Binswanger: Ja. Kennzeichen der Magie ist, dass etwas mühelos, ohne Einsatz geschieht, und das sehr schnell und praktisch unbegrenzt. Denken Sie an den Zauberer, der im Handumdrehen eine schier endlose Zahl von Tüchern aus seinem Ärmel zieht. Statt aus Blei Gold zu machen, wird in der modernen Wirtschaft Papier zu Geld. Diese Papiergeldschöpfung geht in der modernen Wirtschaft in eine Wertschöpfung ohne natürliche Grenze über. In seiner Wette mit Mephistopheles setzt Faust die Zeit aufs Spiel. Die Zeit soll ihm verlorengehen, wenn er „den höchsten Augenblick“ erreicht. Den erreicht Faust, als er meint, dauerhaftes Wirtschaftswachstum, unbegrenzte Wohlstandsmehrung verwirklicht zu haben. Das ist der rote Faden, der sich durch die gesamte Tragödie zieht.

Herr Ackermann, in Ihrer Dissertation steht die Geldschöpfung ebenfalls im Mittelpunkt. Ein Zufall?

Ackermann: Professor Binswanger hat eine berühmte Habilitationsschrift zur Geldtheorie geschrieben. Da lag es nahe, dieses Thema aufzugreifen.

In Ihrer Arbeit kritisieren Sie die herkömmlichen Geldtheorien. Was ist Ihre eigene These?

Ackermann: Die herkömmlichen Theorien basieren weitgehend auf einem statischen Gleichgewichtsmodell, in dem alle Transaktionen gleichzeitig stattfinden – die Zeit also keine Rolle spielt. Geld liegt dort nur wie ein Schleier über dem realen Wirtschaftsgeschehen, beeinflusst es aber nicht wesentlich. Ähnliches gilt auch für spätere portfoliotheoretische und monetaristische Ansätze . . .

Diese Theorien machen sozusagen die Wette ohne die Zeit.

Ackermann: Wenn man die zeitlichen Prozesse berücksichtigt – etwa dass man Geld erst ausgeben kann, wenn man es verdient hat -, kommt man zu anderen Schlussfolgerungen. Dann spielen Geld und Geldschöpfung eine zentrale Rolle. In den herkömmlichen Modellen ist dies bis heute unterbelichtet. Nicht zuletzt die aktuelle Finanzkrise hat gezeigt, dass die Auswirkungen der Geldsphäre auf die reale Wirtschaft noch zu wenig erforscht sind.

Binswanger: Stimmt! Die heutige Weltwirtschaft funktioniert ganz anders als die neoklassischen Gleichgewichtsmodelle, die im Grunde eine bäuerliche Tauschwirtschaft beschreiben; gleichwohl hantieren die meisten Ökonomen noch heute vorzugsweise mit diesen Modellen. Viele junge Ökonomen sehen diese theoretischen Defizite nicht einmal mehr. Der Streit der deutschen Ökonomen, der seit einiger Zeit hauptsächlich in der F.A.Z. geführt wird, ist deshalb ein Streit um des Kaisers Bart. Er wäre fruchtbarer, wenn er auf die grundsätzlichen inhaltlichen Fragen ausgeweitet würde.

Herr Ackermann, Sie sind ja als Dozent an der Universität Frankfurt sowie an der London School of Economics tätig. Gibt es an Universitäten ausreichend Auseinandersetzung mit den Werten, auf die sich eine Gesellschaft verständigen muss, damit sich – um mit Faust zu sprechen – „alles zum Ganzen webt“?

Ackermann: Diese Auseinandersetzung ist ein wichtiger Teil der Ausbildung. Natürlich ist das Verständnis von Modellen wichtig. Aber man darf darüber die politische, soziale und kulturelle Dimension nicht vergessen. Banken, die sich von dem reinen Modelldenken lösen konnten und die Situation mehr gesamtheitlich beurteilt haben, sind in dieser Krise besser gefahren. Denn viele Entwicklungen hatten nichts mehr mit den Modellwelten zu tun, sondern wurden durch die Politik oder Maßnahmen der Zentralbank angestoßen. Im Studium muss deshalb auch die Fähigkeit vermittelt werden, politische und gesellschaftliche Strömungen wahrzunehmen. Über Modellwelten und Mathematik geht leicht der Bezug zur Realität verloren.

Zurück zum „Faust“. Was bewirkt die Papiergeldschöpfung da?

Binswanger: Im ersten Stadium, dass sich der Staat seiner Schulden entledigen kann, Geld in Umlauf kommt und den Konsum ankurbelt. Aber in einem zweiten Stadium artet das in Inflation aus. Das ist auch die Sicht von Mephistopheles: dass Geld eigentlich keine reale Wirkung hat.

Also fauler Zauber ist…

Binswanger: Mephistopheles hatte Faust auf den Gedanken gebracht, dem Kaiser die Papiergeldschöpfung vorzuschlagen. Als „Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft“’, erwartet er, dass dies letztlich zu Inflation führen wird. Doch nutzt Faust das Geld, um Neuland zu erschließen, die Wirtschaft in Schwung zu bringen. Neu geschaffenes Geld muss investiert, in Wertschöpfung umgesetzt werden. Das ist die Alternative zur Inflation.

Ackermann: Durch die Schöpfung von Papiergeld und Buchgeld kann man die physische Knappheit des Goldes überwinden und die monetäre Basis verbreitern. Die große Herausforderung ist dann, dieses Angebot an Geld zu kontrollieren und in ein vernünftiges Verhältnis zum realen Wachstum zu setzen.

Binswanger: Im „Faust“ räumt der Kaiser den Banken das Privileg ein, Banknoten auszugeben und so Papiergeld zu schaffen. Heutzutage haben die Banken vom Staat die Lizenz, Buchgeld zu schaffen. Der Staat unterstützt das insofern, als jedermann das Buchgeld in Bargeld – das gesetzliche Zahlungsmittel – umwandeln kann. Der Staat hat damit auch die Verantwortung dafür, was er inszeniert.

Was folgt für Sie daraus?

Binswanger: Angesichts der Krise stelle ich die Überlegung zur Diskussion, dass der Staat über die staatliche Zentralbank mehr Einfluss auf die Geldschöpfung nehmen muss, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Allerdings würde eine Rückkehr zum Goldstandard eine sehr starke Verringerung der Geldmenge bedeuten, das hätte gravierende Nachteile. Ein meiner Meinung nach gangbarer Weg wäre, dass die Geschäftsbanken die Kundeneinlagen zu 100 Prozent mit Zentralbankgeld unterlegen müssen. Ich lehne mich hier an einen Vorschlag von Irving Fisher an, dem bedeutendsten amerikanischen Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Die Zentralbank hätte dadurch im Vergleich zum heutigen System einen direkten Einfluss auf die Geldschöpfung. Das zusätzliche Geld könnte den Banken zufließen oder dem Staat, der dementsprechend die Steuern niedriger halten könnte. Oder es könnte den privaten Haushalten direkt zufließen als eine Art Grundeinkommen – oder eher ein Zusatzeinkommen – für jeden. Es ist natürlich auch eine Kombination möglich. Dabei muss die Zentralbank darauf achten, dass die Preise der Güter und Vermögenswerte stabil bleiben.

Goethe hat die Papiergeldschöpfung in die Nähe der Alchemie, der Magie gerückt, die es vermag, natürliche Abläufe wundersam zu beschleunigen. Herr Ackermann, Sie haben der Deutschen Bank das Ziel vorgegeben, über einen Konjunkturzyklus hinweg im Schnitt jährlich eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent zu erreichen. Das läuft auf eine Verdopplung des Eigenkapitals in wenigen Jahren hinaus. Vielen gilt dieses Ziel als der Inbegriff von Maßlosigkeit. Dennoch haben Sie es unlängst bekräftigt.

Ackermann: Zunächst einmal: Wir sprechen hier von einer Vorsteuerrendite, also gar so schnell verdoppelt sich das Eigenkapital nicht. Außerdem hat das mit Maßlosigkeit nichts zu tun. Solche Renditen erwirtschaften die besten Banken der Welt seit vielen Jahren. Wenn eine Bank im Konzert der Besten mitspielen will – und das ist der Anspruch der Deutschen Bank -, muss sie auch vergleichbare Renditen wie die Besten erzielen. Das kommt nicht nur den Aktionären zugute, sondern auch Mitarbeitern, Kunden und der Gesellschaft als Ganzes. Um ein guter Arbeitgeber zu sein, Arbeitsplätze zu schaffen, Steuern zu zahlen oder für gute, soziale Zwecke etwas tun zu können, muss man gute Gewinne erwirtschaften. Im Übrigen: Dank ihrer hohen Ertragskraft in den zurückliegenden Jahren war die Deutsche Bank jetzt in der Lage, die Krise ohne staatliche Unterstützung aus der Tasche der Steuerzahler durchzustehen. Natürlich kann man diskutieren, ob dieses „faustische Streben“ nach immer mehr, immer größer, immer schneller richtig ist. Aber man muss sich dabei auch bewusst sein, dass mit weniger Geldschöpfung und weniger Wachstum wahrscheinlich auch der allgemeine Wohlstand geringer sein wird.

Die Krise hat gezeigt, dass es sich bei der vermeintlichen Wertschöpfung oft nur um heiße Luft gehandelt hat. Die Buchwerte haben sich buchstäblich in Luft aufgelöst. Hohe Eigenkapitalrenditen lassen sich eben nur erzielen, wenn ein Unternehmen mit großem Kredithebel arbeitet. Kreditvergabe führt zu Geldschöpfung, unter Umständen zu Spekulationsblasen – die schließlich platzen.

Ackermann: Deswegen ist es ganz wichtig, Institutionen zu schaffen, die sich mit bedenklichen Entwicklungen rechtzeitig auseinandersetzen und verhindern, dass Spekulationsblasen entstehen. Sie haben insofern recht, als die Banken unter den jetzigen „Spielregeln“ relativ wenig Eigenkapital benötigen. Nach den Basel-II-Vorschriften der Bankaufseher müssen Banken ihr Geschäft nur mit mindestens 4 Prozent Kernkapital unterlegen. Das erleichtert es natürlich, eine hohe Eigenkapitalrendite zu erzielen.

Ist es nicht so: Für eine hohe Rendite muss man hohe Risiken eingehen?

Ackermann: Nein, das sehe ich nicht so. Gerade in Geschäftsfeldern, die wenig riskant sind, etwa in der Vermögensverwaltung oder im Beratungsgeschäft, benötigt man wenig Eigenkapital – bei gleichem Gewinn ist die Rendite auf einem solchen Geschäftsfeld also viel höher als auf Gebieten mit hohen Risiken, für die die Aufsicht eine höhere Eigenkapitalunterlegung vorschreibt. Die Höhe der Eigenkapitalrendite hängt stark vom Geschäftsmodell ab.

Herr Binswanger, halten Sie eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent für ein realistisches Ziel?

Binswanger: Für Einzelne ja. Aber nicht generell. Eine solch hohe Rendite lässt sich auf Dauer nur in einem monopolistischen oder oligopolistischen Markt erzielen. Für alle Unternehmen scheint mir das hingegen nicht möglich, es sei denn, es kommt über Kreditvergabe zu Spekulationsblasen. Doch wenn diese Blasen platzen, kommt es statt zu Gewinnen zu Verlusten.

Ackermann: Natürlich kann nicht jedes einzelne Unternehmen oder können nicht alle Unternehmen im Schnitt solch eine Rendite erzielen!

Vorhin sagten Sie aber, dass solch hohe Renditen für die Top-Banken allgemein üblich sind?

Ackermann: Ich sehe da keinen Widerspruch: Für die Besten ist das üblich, aber nicht für den Durchschnitt. Wie gesagt: Es hängt vor allem vom Geschäftsmodell ab, und auch die Marktstruktur kann einen Einfluss haben. Die Eintrittsbarrieren für manche Geschäftsbereiche sind so hoch, dass es neue Wettbewerber sehr schwer haben. Eine führende Investmentbank muss heute global aufgestellt sein, sie benötigt eine ausgeklügelte Informationstechnik. Das aufzubauen dauert Jahre, ist sehr kostspielig – und ob es sich jemals auszahlt, ist ungewiss.

In der Krise sind jetzt sogar mehrere Banken vom Markt verschwunden…

Ackermann: Als Lehre aus der Krise sähen es einige gerne, wenn die Banken wieder kleiner, fokussierter, überschaubarer würden – damit sie nicht „too big to fail“ werden, also nicht so groß, dass der Staat sie im Fall einer Schieflage unbedingt retten muss, weil eine Insolvenz das gesamte Finanzsystem eines Landes zusammenbrechen lassen könnte. Und in der Tat haben im Zuge der Krise einige Großbanken kleinere Banken übernommen, und manche Große sind noch größer geworden. Im globalen Investmentbanking sind statt früher rund zehn jetzt nur noch fünf oder sechs Häuser aktiv. Man wird sehen, ob die Allgemeinheit mit solch einer Marktstruktur auf die Dauer gut leben kann und will – auch aus aufsichtsrechtlicher und politischer Sicht.

Müssten die Institute aufgespalten werden?

Ackermann: Es gibt prominente Stimmen wie zum Beispiel die Nobelpreisträger Edmund Phelps und Joseph Stiglitz oder Paul Volcker, Wirtschaftsberater bei Präsident Barack Obama, die für die Aufspaltung von Banken nach Geschäftsfeldern plädieren, das heißt für eine teilweise Rückkehr zu dem sogenannten Glass-Steagall-Gesetz, das Banken mit Kundeneinlagen bestimmte riskante Aktivitäten untersagte – das aber 1999 aufgehoben wurde. Wir sind demgegenüber jedoch der Ansicht, dass diversifizierte Banken wünschenswert sind, diversifiziert nach Produkten, Kunden und Regionen. Integrierte Universalbanken haben sich in der Krise in der Regel als stabiler erwiesen. Aus unserer Sicht ist Größe an sich nicht der entscheidende Punkt, obwohl große Banken für kleine Länder ab einem gewissen Punkt schon ein Problem darstellen können. Wichtiger als die Größe ist die Verflechtung.

Müsste die Aufsicht künftig nicht das Risiko berücksichtigen, das von einer Bank auf das Finanzsystem ausgeht: Je größer das Systemrisiko, desto mehr Eigenkapital muss die Bank vorhalten?

Ackermann: Die Krise hat gezeigt, dass die Vernetzung unter den Banken heute so groß ist, dass schon mittelgroße Banken systemrelevant sein können. Damit ist die Gefahr gewachsen, dass Bankmanager zu große Risiken eingehen, weil sie erwarten, im Zweifelsfall aufgefangen zu werden.

Noch einmal: Wie sollte die Aufsicht mit den Systemrisiken umgehen?

Ackermann: Eine Konsequenz muss sein, die Vernetzung zu verringern, zum Beispiel durch die Einführung von zentralen Gegenparteien in bestimmten Marktsegmenten, so dass schwache Marktteilnehmer ausscheiden können und es zu einer Marktbereinigung kommen kann. Gleichzeitig muss die Aufsicht über die Banken verbessert werden. Vermutlich werden die großen systemrelevanten Banken auch mehr Eigenkapital als bisher vorhalten müssen.

Können Banken dann noch die hohen Renditen erwirtschaften?

Ackermann: Ich bin sicher, dass die Besten auch dann noch gute Renditen erzielen können – ohne übermäßige Risiken einzugehen.

Zurück zum „Faust“: Verändert die Schöpfung von Papiergeld, ganz allgemein das Geld, den Charakter des Menschen oder der Gesellschaft insgesamt? Wie stellt Goethe das dar?

Binswanger: Ambivalent. Auf der einen Seite ermöglicht die Geldschöpfung Investitionen, sie löst Wachstum, wirtschaftlichen Elan aus, ermöglicht die schöpferische Tat. Auf der anderen Seite lässt Goethe im „Faust“ die drei wilden Gesellen Raufebold, Habebald und Haltefest auftreten. Sie stehen für nackte Gewalt, Gier und Geiz.

Im „Faust“ tritt auch „die Sorge“ als Person auf.

Binswanger: Der Unternehmer muss immer Kapital vorschießen, und er ist sich unsicher, ob er für die produzierten Güter später kaufkräftige Nachfrage findet. Deshalb blickt er immer besorgt in die Zukunft. In der Gegenwart gibt es für ihn – für Faust als Prototyp des modernen Menschen – keinen „erfüllten Augenblick“. Daher diese faustische Rastlosigkeit. Der Gewinn ist der Ausgleich für die Sorgen, die sich der Unternehmer auflädt. Damit irgendjemand Kapital einsetzt, muss es im Durchschnitt auf Dauer Gewinne geben.

Neben der Papiergeldschöpfung sieht Goethe noch einen weiteren Motor der wirtschaftlichen Dynamik, den Übergang von Lehen beziehungsweise Besitz zu privatem Eigentum.

Binswanger: Was man als Lehen hat, zur Leihe hat, darf man wirtschaftlich nutzen, muss es aber pflegen und möglichst unversehrt vererben. Faust proklamiert: „Herrschaft gewinn ich, Eigentum.“ Nach dem „Code Napoléon“, der um die Wende zum 19. Jahrhundert in weiten Teilen Deutschlands Gesetz wurde, darf der Eigentümer über sein Eigentum nach völligem Belieben verfügen: Es gebrauchen, aber auch verbrauchen, ausplündern, zerstören.

Der Mensch macht sich zum Herrn der Welt…

Binswanger: Zu der Herrschaft über die Natur tritt die Beherrschung der Naturkräfte hinzu. Faust träumt davon, sich die Kraft von Ebbe und Flut als unbegrenzte, unendliche Energiequelle nutzbar zu machen. Wer die Naturkräfte einmal beherrscht, der kann dann Wertschöpfung ohne Einsatz von Arbeit erzielen. Andererseits kann die Herrschaft über die Natur auch der Umweltzerstörung Vorschub leisten – dafür steht im „Faust“ die Vertreibung von Philemon und Baucis aus ihrer Idylle.

Investmentbanker werden als „Masters of the Universe“, als „die Herren des Universums“, beschrieben. Zu den Ursachen der Finanzkrise zählt, dass die Bonussysteme in den Investmentbanken der Jagd nach dem schnellen Geld Vorschub geleistet haben. Welche Konsequenzen zieht die Deutsche Bank daraus?

Ackermann: Anreize, die Mitarbeiter dazu anhalten, das schnelle Geld, also kurzfristige Gewinne zu machen, ohne Rücksicht auf Verlustrisiken später, sind falsch. Die Anreize müssen vielmehr so gesetzt werden, dass die Mitarbeiter im längerfristigen Interesse der Eigentümer handeln. Generell gilt: Unternehmen müssen Risiken eingehen. Dabei kommt es gelegentlich auch zu Verlusten, weil das Risiko falsch eingeschätzt wurde. „Es irrt der Mensch, solang er strebt“, heißt es im „Faust“. Auf keinen Fall aber darf ein Unternehmen ein Risiko eingehen, das seine Existenz gefährdet.

Wird die Deutsche Bank ihr Bonussystem verändern?

Ackermann: Wir haben schon bisher mittel- und langfristige Komponenten in unseren Vergütungssystemen. Aber wir arbeiten derzeit an weiteren Verbesserungen. Ziel ist es, einen Teil des Bonus zurückzubehalten, bis sicher ist, dass aus aktuellen Gewinnen nicht später ein Verlust wird.

Sie haben unlängst zwei große internationale Bankenkonferenzen geleitet, eine in Kyoto und eine in Peking. Was waren da die zentralen Themen?

Ackermann: Welche Lehren aus der Krise zu ziehen und welche Reformen umzusetzen sind – zum Beispiel Reformen der Bonussysteme. Daneben ging es um das künftige Verhältnis von Staat und Wirtschaft. Weitere Themen waren die zunehmende Bedeutung der Schwellenländer für die Weltwirtschaft sowie die Refokussierung der Politik auf nationale Interessen bis hin zum Protektionismus und zu den damit verbundenen Gefahren für die Globalisierung.

Herr Ackermann, entgegen Ihrer ursprünglichen Ankündigung werden Sie die Deutsche Bank nun weitere drei Jahre führen. Das geht mit einer Jagd über alle Kontinente von Termin zu Termin einher, mit „faustischer Rastlosigkeit“. Was motiviert Sie? Ist da noch etwas Unerledigtes? Vielleicht sogar noch etwas wiedergutzumachen?

Ackermann: Nein, ich habe diese Entscheidung vor allem aus Pflichtgefühl getroffen. Die Bank war durch die Nachfolgediskussion in eine unangenehme Lage geraten, es musste Klarheit geschaffen werden. Aber natürlich ist die Deutsche Bank zu führen auch eine schöne und spannende Aufgabe. Gerade jetzt: Denn wir glauben, dass wir eine Chance haben, künftig eine noch größere Rolle spielen zu können. An dem Schöpfungsprozess der Wirtschaft teilzuhaben und am Fortschritt mitzuwirken übt eine große Faszination aus. „Das ist der Wahrheit letzter Schluss“, heißt es bei Goethe: „Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss.“

Herr Binswanger, was sind die Lehren aus Goethes „Faust“ für uns heute?

Binswanger: Ich gebe demnächst ein Buch heraus mit dem Titel „Vorwärts zur Mäßigung“. Wir müssen uns „der Sorge“ stellen – der Sorge für den Erhalt der Natur, der Heimat und des Maßvollen.

Das Gespräch führten Benedikt Fehr und Holger Steltzner.

Quelle: F.A.Z.
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