“Aktuell herrscht Ausnahmezustand”
Paul Schreyer 26.09.2012
Der Wirtschaftssoziologe Joseph Huber über Geldschöpfung, eine “ratlose Finanzorthodoxie” und die Chancen der Vollgeldreform
Professor Joseph Huber, 63, ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftssoziologie an der Universität Halle sowie Autor der Bücher “Monetäre Modernisierung” (Marburg, 2011) und “Die Vollgeld-Reform” (Solothurn, 2012). Er ist außerdem Mitgründer der Monetative, einer Initiative, die sich dafür einsetzt, die Geldschöpfung wieder ausschließlich in öffentliche Hand zu übertragen. Telepolis stellte dieses Reformkonzept bereits im Februar 2012 in einem Artikel vor (Eine neue Geldordnung).
Paul Schreyer: Herr Professor Huber, die gegenwärtige Finanz- und Staatsschuldenkrise scheint einen toten Punkt erreicht zu haben. Immer neue Rettungsschirme führen offenbar zu keiner Lösung. Was sind Ihrer Ansicht nach die Grundprobleme?
Joseph Huber: Das Krisenmanagement der Euro-Regierungen bewegt sich in einer Zwickmühle zwischen Bailoutpolitik und Austeritätspolitik. Bailout hält die Banken und Märkte über Wasser, ist aber eigentlich verboten und würde im schlimmsten Fall Riesensummen kosten, die kaum aufgebracht werden könnten. Fiskalische Konsolidierung dagegen lässt das BIP und die Massenkaufkraft stagnieren oder schrumpfen. Das Verfangensein in dieser Zwickmühle lässt ein suboptimales sich Weiterschleppen über viele Jahre erwarten.
Die Gefahr eines Systemzusammenbruchs sehe ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr. Seit die EZB mitgeteilt hat, sie werde bei Bedarf bedrohte Staatsanleihen in jedem Umfang am offenen Markt kaufen, ist die Sache eigentlich durch. Die Abwicklung der faulen EZB-Aufkäufe und das Wiedereinsammeln der großen Reservebeträge, die den Banken zur Verfügung gestellt wurden, dürfte sich ebenfalls über Jahre hinschleppen.
Paul Schreyer: In jüngster Zeit wurde in den Medien mehrfach über die Geldschöpfung der privaten Banken berichtet, auch in konservativen Zeitungen wie der FAZ (Wie kommt Geld in die Welt?) oder dem Handelsblatt (Es werde Geld – es werde Krise). Dennoch halten viele Menschen eine solche Geldschöpfung “aus dem Nichts” weiterhin für Unsinn. Was entgegnen Sie diesen Skeptikern?
Joseph Huber: “Aus dem Nichts” ist eine beliebte Wendung, kann aber in die Irre führen. Denn hinter dem Geld steht nicht “nichts”, sondern etwas ganz Konkretes, nämlich die laufend erstellten Güter und Dienste, also reale Produktivität. Das gibt dem Geld seine Kaufkraft. Ins “Nichts” führt das erst, wenn überschießend zu viel Geld gedruckt wird, so wie von den Banken in der Zeit vor der Krise große Mengen an Spekulationsgeld gedruckt wurden. Modernes Geld wird grundsätzlich frei in die Bücher geschrieben. Die Frage ist nur, von wem und wer den Geldschöpfungsgewinn für sich realisiert: die staatliche Zentralbank oder die privaten Großbanken im Rahmen ihres Giralgeldregimes.
Paul Schreyer: Die Rolle der Geldschöpfung für eine Volkswirtschaft wurde in den vergangenen Jahrzehnten nur wenig beachtet. An den Universitäten wurde dieses Wissen kaum gelehrt. Eine der wenigen prominenten Ausnahmen ist Ex-Deutsche Bank-Chef Ackermann, der 1977 seine Doktorarbeit dazu verfasste. Warum wurde dieses Thema so lange vernachlässigt?
Joseph Huber: Solange es keine schwerwiegenden Probleme gibt, schaut kaum einer genau hin. Seit den 1930er Jahren nicht mehr. Die meisten Ökonomen wissen bis heute nicht wirklich, wie das Geldsystem funktioniert. Es wird noch immer gelehrt, dass Banken Zentralbankgeld verleihen, dass Bankkredite mit Ersparnissen finanziert würden, dass die Zentralbank die Giralgeldschöpfung der Banken per Mindestreserven steuern würde, und ähnlich weltfremde Lehrbuchweisheiten mehr.
Paul Schreyer: Sie sind im deutschsprachigen Raum einer der führenden Vertreter eines Konzepts, das sich “Vollgeldreform” nennt. Diese Idee ist inzwischen auch im medialen Mainstream angekommen. Im Kern geht es darum, Geldschöpfung und Kreditvergabe voneinander zu trennen. Können Sie kurz das heutige System beschreiben, sowie die Veränderungen, die sich durch die Vollgeldreform ergeben würden?
Joseph Huber: Um 100 Einheiten Giralgeld zu erzeugen, zum Beispiel für einen Überziehungskredit, und diese Mittel im Auftrag des Kunden dann auch zu überweisen oder auszuzahlen, benötigen die Banken im statistischen Durchschnitt aktuell nur 3,1 Prozent Zentralbankgeld, davon 1,4 Prozent Bargeld und 0,2 Prozent Überschussreserve zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs, den Rest für Mindestreserve auf diverse Depositen. Wenn die Banken etwas finanzieren wollen – zum Beispiel überhohe Staatsschulden oder Spekulationsblasen in Aktien und Immobilien -, können sie das nach eigenem Ermessen praktisch immer, zumal wenn sie trendkonform handeln. Sie kreditieren so viel oder so wenig Geld, wie ihnen gut dünkt. Wenn die residual benötigten Bargelder und Reserven am Interbankenmarkt nicht mehr zu bekommen sind, lassen sich die Banken bei der Zentralbank refinanzieren. Was sie nachfragen, haben sie bisher noch immer bekommen, meist auch zu günstigem Zins.
In einer Vollgeldordnung dagegen wird Geld ausschließlich von der unabhängigen staatlichen Zentralbank in Umlauf gebracht wird. “Vollgeld” ist die Kurzform für “vollwertiges, unbeschränkt gültiges gesetzliches Zahlungsmittel”. Die Giralgeldschöpfung der Banken wird beendet. Kredite und Käufe von Banken erzeugen kein Giralgeld mehr, sondern sie werden in Vollgeld bezahlt, das zuvor eingenommen worden sein muss.
Dadurch wird die Geldmenge unter Kontrolle gebracht. Sie kann, was heute nicht funktioniert, von der Zentralbank potenzialorientiert erweitert werden, das heißt nach Maßgabe der tatsächlich erwartbaren Wirtschaftsentwicklung. Das vermeidet Inflation bzw Asset Inflation, das heißt Krisen erzeugende Mengen- und Preisblasen von Finanzanlagen. Der Geldschöpfungsgewinn käme der öffentlichen Hand zugute. In Deutschland wären das bei 1-3 Prozent Wachstum etwa 25-75 Mrd Euro jährlich. Zur Zeit vielleicht am wichtigsten: Durch Ausschleusung der alten Giralgeldbestände und ihre Ersetzung durch staatliches Vollgeld, können in wenigen Jahren die Hälfte bis zwei Drittel der Staatsschulden abgebaut werden.
Die Banken bleiben dabei freie marktwirtschaftliche Unternehmen. Sie können ihre angestammten Geschäfte fortführen – nur selber das Geld für ihre Geschäfte drucken, das können sie nicht mehr.
Paul Schreyer: Was würde sich für den normalen Bürger ändern, der ein Girokonto besitzt und vielleicht etwas Geld fest angelegt hat? Hätte der irgendwelche Vorteile von einer solchen Reform?
Joseph Huber: Für Bankkunden ändert sich nichts. Sie würden es nicht bemerken. Ein Vorteil wäre, dass Vollgeld sicheres Geld ist. Es kann in einer Bankenkrise nicht mehr verschwinden. Außerdem sind die Banken in einer Vollgeldordnung direkt und in weitaus größerem Maß als heute auf Einlagen ihrer Kunden angewiesen. (Im heutigen Giralgeldregime sind Sparguthaben im wesentlichen ja nur stillgelegtes Giralgeld, mit dem aktiva-seitig nichts finanziert werden kann). Das würde den Habenzinsen und sonstigen Konditionen für die Kundschaft sicherlich zugutekommen. Die noch größeren Vorteile aber liegen auf gesamtwirtschaftlicher Ebene, wie zuvor gerade angesprochen.
Paul Schreyer: Im August haben zwei Ökonomen aus der Forschungsabteilung des IWF eine Studie vorgelegt, die eine Vollgeldreform als “höchst wünschenswert” beschreibt. Hat es Sie überrascht, eine solche Unterstützung gerade aus dem inneren Zirkel der herrschenden Finanzordnung zu erhalten? Interpretieren Sie das als Signal für einen möglichen Paradigmenwechsel in den Finanzwissenschaften?
Joseph Huber: Ich wusste, dass da was in Arbeit war, sonst hätte es mich schon überrascht. Auch wenn die Autoren der IWF-Studie betonen, dass sie nicht den offiziellen Standpunkt des IWF repräsentieren, hat das doch etwas zu bedeuten. So ein Projekt wie auch die Publikation seiner Ergebnisse müssen in einem internen Reviewprozess grünes Licht bekommen.
Von einem Paradigmenwandel kann man deshalb noch nicht sprechen. Unverkennbar jedoch ist die zuletzt ziemlich ratlose Finanzorthodoxie weltweit unter Druck geraten, und so treten neue geldpolitische Ansätze hervor.
Paul Schreyer: Die IWF-Studie überprüft den sogenannten “Chicago-Plan”, der ursprünglich in der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre entstand, anhand aktueller ökonomischer Rechenmodelle. Was ist der Unterschied zwischen dem historischen “100%-banking” oder “100%-money” des Chicago-Plans und Ihrem aktuellen “Vollgeld”?
Joseph Huber: Die Ansätze der 1930er Jahre zielten auf 100% Reservehaltung, das heißt, eine Bank müsste über mindestens so viel Zentralbankgeld verfügen wie sie Depositen in den Büchern stehen hat. Heute heißt das auch Full-reserve banking. Full reserve und Vollgeld sind durchaus verwandt. Es besteht Übereinstimmung bezüglich der Kritik der bestehenden Geldordnung und des Ziels, das staatliche Geldregal, immerhin eine hoheitliche Prärogative von Verfassungsrang, wieder herzustellen. Darüber hinaus aber gibt es erhebliche Unterschiede im Hinblick auf operative Praktiken und institutionelle Arrangements.
Ein Full-reserve Ansatz will den Reservenbedarf von heute nur noch 3,1 Prozent auf 100% heraufsetzen. Aber auch 100% Reserve ist immer noch ein Reservesystem. Es ist kompliziert und vergleichsweise aufwendig zu verwalten. Der Publikumskreislauf mit Giralgeld, in dem Forderungen und Verbindlichkeiten verrechnet werden, und der Interbankenkreislauf mit Reserven, in dem die Saldi der Verrechnungen beglichen werden, bestehen getrennt voneinander weiter. Die Reserveanforderung wird monatlich oder vierteljährlich im Nachhinein ermittelt. Das lässt den Banken Spielraum, doch noch etwas Giralgeld zu erzeugen. Auch ist der Übergang von 3 auf 100 Prozent Reserve problematischer als es klingt.
Die meisten Geldreforminitiativen heute treten nicht für 100%-Reserve ein, sondern für Vollgeld. In einer Vollgeldordnung ist das Nebeneinander von Reserven und Giralgeld aufgehoben. Oder wenn Sie so wollen, Vollgeld ist die Reserve, also Zentralbankgeld, in allgemeiner Zirkulation. Es gibt nicht mehr die heutigen Geldmengen M0 und M1 mit diesen oder jenen Posten in- oder exklusive, keinen Unterschied mehr zwischen ‘Geldbasis’ und zirkulierender Geldmenge, sondern nurmehr eine integrierte Geldmenge M, einfach zu verstehen und zu handhaben, ausschließlich emittiert und kontrolliert von der unabhängigen Zentralbank, zum ungeschmälerten Nutzen der Allgemeinheit, auch zum Nutzen der Banken.
In der jüngsten medialen Berichterstattung wurden 100%-Reserve und Vollgeld vielfach verwechselt. Schlimm ist das nicht, zumal im Vollgeld der historische Vorläufer der 100%-Reserve positiv aufgehoben ist und es technisch gesehen sowieso mehrere Wege gibt, eine solche Reform umzusetzen.
Paul Schreyer: Die Vollgeldreform sieht eine politisch unabhängige Zentralbank vor. Diese soll die Geldmenge in regelmäßigen Abständen ausweiten, und zwar entsprechend dem prognostizierten Wirtschaftswachstum. Sprich: Die Zentralbank schöpft Geld. Eben das haben wir doch aber heute im Übermaß. Die EZB unter Mario Draghi flutet den Euroraum mit gigantischen Kreditpaketen an Banken sowie massiver Geldschöpfung per Staatsanleihenkauf. Wie soll gewährleistet werden, dass in einem Vollgeldsystem eine Zentralbank nicht mehr Geld schöpft, als es für die wirtschaftliche Entwicklung notwendig ist? Wer kontrolliert die öffentlichen Banker?
Joseph Huber: Aktuell herrscht geldpolitisch Ausnahmezustand mit Notmaßnahmen. Erst waren die Banken und Finanzmärkte außer Rand und Band, dann die Staatsschulden, und schließlich das Quantitative Easing der Zentralbanken. Eine Vollgeldordnung würde einem solchen Schlamassel effektiv vorbeugen.
Die Zentralbank in einer Vollgeldordnung – als Monetative, in Anlehnung an Legislative, Exekutive und Judikative – soll unabhängig von den anderen Staatsgewalten sein, und natürlich auch unabhängig von Banken- und anderen Wirtschaftsinteressen. Sie soll, wie die Rechtsprechung, keinerlei Weisungen unterliegen und diskretionär handeln, das heißt je nach Lage nach ihrem besten professionellen Wissen – aber natürlich auf Grundlage der Gesetze, und auch dem Parlament, der Regierung und der Öffentlichkeit gegenüber berichts- und rechenschaftspflichtig. Was die Gesetze geldpolitisch vorgeben, zum Beispiel Inflationsziele, unterscheidet sich je nach Währungsraum. Meines Erachtens soll möglichst wenig vorgegeben werden. Keine mechanischen Zwangsregeln. Im Übrigen wird das Führungspersonal der Zentralbank von der Regierung eingesetzt. Anders als Richter sollte die Führung der Zentralbank für 4-6 Jahre berufen werden, und vielleicht auch in bestimmten Sonderfällen von der Regierung abberufen werden können.
Paul Schreyer: Manche befürchten dennoch neues Schuldenmachen ohne Grenzen. Selbst für Kritiker der aktuellen EZB-Politik, wie Bundesbank-Chef Jens Weidmann, ist die Staatsfinanzierung durch öffentliche Geldschöpfung weiterhin ein Tabu. Wie erklären Sie sich das? Müssten nicht Zentralbankvertreter das Konzept zuerst unterstützen?
Joseph Huber: Der Sache nach eigentlich schon. Aber wissenssoziologisch gesehen bilden Banker, Zentralbanker, Ministerialbeamte, Aufseher und Finanzwissenschaftler ein Milieu. Da ist bis zuletzt noch Banking-Doktrin vorherrschend gewesen, im Unterschied zu Currency-Lehren, die für eine staatliche Kontrolle der Geldschöpfung und der Geldmenge eintreten. Die Banking-Doktrin, einfach gesagt, will die Banken nach Belieben machen lassen und unterstellt, die Finanzmärkte würden alles zum Besten regeln. Aber bei faktisch unbegrenzter Giralgeldschöpfung in der Hand eines “systemisch relevanten” Oligopols von Großbanken können die Märkte kein Gleichgewicht finden.
Tabu ist ein Bruch der Banking-Doktrin dergestalt, dass die Zentralbank nicht mehr nur Bank der Banken sein soll, sondern auch wieder Bank des Staates, und für beide nicht nur Lender of last resort, sondern vor allem Issuer of first instance. Das steht so nicht in den Lehrbüchern und wird als Häresie behandelt, sprich exkommuniziert. Es sind aber gerade die Ausnahmezwänge der selbst verschuldeten Krise, unter deren Druck das nun begonnen hat, sich zu ändern.
Öffentliche Geldschöpfung an und für sich ist eigentlich kein Tabu, im Gegenteil, die vorherrschende Lehre gibt das Münzmonopol der Regierung, das Banknotenmonopol und das Monopol auf unbare Reserven der Zentralbank, behauptet aber, damit könne die Giralgeldschöpfung der Banken kontrolliert werden. In Wirklichkeit schöpfen die Banken so viel Geld, wie sie wollen, und veranlassen die Zentralbank, die residual benötigten Münzen, Banknoten und Reserven gemäß Anforderung der Banken bereit zu stellen.
Paul Schreyer: Bereits in den 1970er Jahren veröffentlichte das damalige Bundesbank-Direktoriumsmitglied Rolf Gocht einen eigenen Plan für eine Vollgeldreform. Er schrieb, es gäbe in der herrschenden Geldordnung “keine Kräfte, die den vom Gleichgewicht abgekommenen Wirtschaftskörper wieder zu ihm zurückführen. Im Gegenteil tendieren die (…) Kräfte dahin, die weitere Abwendung vom Gleichgewicht noch zu fördern.” Diesen Faktor der Instabilität auszuschalten, so der Bundesbanker, “verlangt eine neue Geldordnung”.[1] Gocht, ein früherer enger Mitarbeiter von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, forderte dazu schon 1975 eine Übertragung der Geldschöpfung in öffentliche Hand. Ist es Ihres Wissens nach je zu einer politischen Initiative in dieser Richtung gekommen?
Joseph Huber: Nein, Gocht wurde von seinesgleichen ignoriert bis isoliert und in einer Besprechung in der FAZ in unsachgemäßer Weise abgetan, wegen angeblicher Verstaatlichung der Banken, Zentralplanwirtschaft und solchem Unsinn. Das hat ihn sehr getroffen, denn er verstand sich als ordoliberaler Marktwirtschaftler im Sinn der Freiburger Schule.
Paul Schreyer: Eigentlich müssten doch sämtliche Finanz- und Haushaltspolitiker eifrige Anhänger der Vollgeldreform sein, da sie dem Staat nicht nur einen jährlichen Geldschöpfungsgewinn im mittleren zweistelligen Milliardenbereich einbringt, sondern dazu auch noch, fast nebenbei, durch die einmalige Auswechslung der zirkulierenden Geldmenge einen weitgehenden Abbau der vorhandenen Staatsschulden ermöglicht. Peer Steinbrück, Ex-Finanzminister und derzeit Kanzlerkandidatenanwärter, räumte mir gegenüber Anfang des Jahres ein, das Reformkonzept sein ihm “bisher nicht bekannt” gewesen, er hielte es aber für “spannend” (Eine neue Geldordnung). Resultiert das bisherige Desinteresse an der Reform von Seiten der Politik vor allem aus Unwissenheit?
Joseph Huber: Zum politischen Milieu kann ich in dieser Frage nur sinngemäß wiederholen, was ich gerade zum Finanzmilieu sagte. Wie aber das von Ihnen angeführte Zitat zeigt, sind Politiker doch etwas offener. Sie müssen es sein, um in der Demokratie zu bestehen. Politiker sind in punkto Vollgeld und Monetative vergleichsweise ansprechbarer als der etablierte Finanzklerus.
Paul Schreyer: Fällt die Vermittlung des Vollgeld-Konzeptes vielleicht auch deshalb schwer, weil das Ergebnis der Reform ein Zustand wäre, von dem die meisten fälschlich glauben, dass er heute bereits existiert – nämlich Bankkredite, die ausschließlich aus Spareinlagen oder auch einmal aus Zentralbankkrediten finanziert werden, sicheres Geld auf dem Girokonto und eine Geldschöpfung, die ausschließlich in öffentlicher Hand ist?
Joseph Huber: Ja, das ist bestimmt so. Es geht aber nicht nur um Wissen bzw. Unwissen, sondern mehr noch um Interessen und Macht. Das reale Geldwesen ist, noch stärker als andere Handlungsfelder, interessen- und machtbestimmt.
Paul Schreyer: Sie sprechen damit einen zentralen Punkt an. Klarer Verlierer einer Vollgeldreform wäre doch wohl der Bankensektor, dessen Macht und Einfluss durch das Verbot der privaten Geldschöpfung massiv beschnitten würde. Kaum eine Interessenvertretung ist jedoch so mächtig, wie die Bankenlobby. Rechnen Sie sich dennoch realistische Chancen für die Umsetzung der Reform aus?
Joseph Huber: Ich sehe den Bankensektor nicht als Verlierer einer Vollgeldreform. Die Großbanken verlieren zwar das Privileg, Giralgeld zu erzeugen. Damit verlieren sie auch die unverdienten Extragewinne aus der Giralgeldschöpfung in Form von vermiedenen Finanzierungskosten. Damit wird aber auch ein erheblicher Wettbewerbsnachteil kleinerer Banken gegenüber Großbanken korrigiert. Ansonsten bleiben die Kredit- und Anlagegeschäfte aller Banken im Rahmen einer Vollgeldordnung bestehen. Sie werden da weiterhin gute Geschäfte machen, und weiterhin eine erhebliche Allokationsmacht ausüben. In einer stabileren Finanz- und Realwirtschaft geht es den Leuten, Firmen und auch dem Staat besser als in einer instabilen. Und, wie schon Irving Fisher feststellte, es geht den Banken gut, wenn es ihren Kunden gut geht.
Die Bankenlobby kann vieles beeinflussen. Sicher. Aber je mehr es in der Öffentlichkeit, in Wissenschaft und Politik ein Umdenken gibt, desto geringer würde ihr Einfluss.
Paul Schreyer: In welchen anderen Ländern gibt es vergleichbare Initiativen?
Joseph Huber: Es ist nicht einfach, da noch einen Überblick zu behalten. Es gibt in fast allen Industrieländern Initiativen, manchmal mehrere. Aus jetziger Sicht kann man vielleicht sagen, dass einige Initiativen programmatisch die Richtung weisen. Dazu gehören in Deutschland der Verein Monetative, in der Schweiz der Verein Monetäre Modernisierung, in den USA das American Monetary Institute und im British Commonwealth die Positive Money Campaign. Ebenso wichtig ist, dass andere Gruppen und NGOs der Zivilgesellschaft das Konzept einer Vollgeldreform in zunehmender Zahl aufgreifen.
Paul Schreyer: Die Schweiz und Großbritannien haben jeweils eigene Währungen, über die sie hoheitlich entscheiden können. Deutschland aber ist in die Eurozone eingebunden. Ist das nicht ein wesentliches Hindernis für die Umsetzung Ihres Konzepts?
Joseph Huber: Ja, schon. Aber soweit etwas in Bewegung kommt, ist es auch ein Vorteil. Der Euroraum hat Gewicht im Weltsystem. Wenn die Eurostaaten oder die USA als Leitwährungsräume und Leitmärkte das machen, und die Politiker und Leute sehen, welche Vorteile es bringt, würden viele andere es bald übernehmen.
Paul Schreyer: Am 27. Oktober 2012 findet in Berlin die Konferenz “Neue Geldordnung – Ausweg aus der Euro-Schuldenmisere” statt, zu deren Organisatoren Sie gehören. Was erwartet die Besucher auf dieser Konferenz?
Joseph Huber: Wir haben namhafte internationale Experten gewinnen können, zum Beispiel Richard Werner von der Uni Southhampton. Kumhof aus Washington, der Verfasser der IWF-Studie, wird auftreten. Peukert, der Verfasser des Buches Die große Finanzmarktkrise, wird über das Umdenken in der Wissenschaft sprechen. Am Abend gibt es eine Podiumsdiskussion zum Thema Geld und Nachhaltigkeit mit Beiträgen von Felber (Gemeinwohlökonomie), Huth von der Uni Lüneburg, Kennedy (Komplementärwährungen) und Paech (Postwachstumsökonomie). Der Börsenjournalist Raimund Brichta wird moderieren. Je mehr Menschen teilnehmen, desto größer auch die Außenwirkung.