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Der nächste Ex-Zentralbanker für Vollgeld

In einem wunderbar alltäglich geschriebenen Kommentar in der Zeitung El Mundo kritisiert Carlos Arenillas, der Ex-Vizepräsident der spanischen Börsenaufsicht und ehemaliges Direktoriumsmitglied der spanischen Zentralbank, die Geldschöpfung durch Geschäftsbanken und plädiert für ein Vollgeldsystem. Vereinsmitglied Manfred Freund hat den tollen Artikel für uns übersetzt, sodass wir Ihn hier in ganzer Länge veröffentlichen können:

Mein Geld auf einem Zentralbankkonto

Carlos Arenillas

“Warum darf ich kein Bankkonto bei der Zentralbank eröffnen?” Diese Frage stellte mir vor einigen Monaten ein Freund nach der Krise der spanischen Groβbank “Banco Popular”, die ihm einige schlaflose Nächte bereitet hatte. Ich brauchte einige Zeit, ihm zu antworten. Im Folgenden fasse ich kurz zusammen, was ich ihm erwiderte:

Ich sagte ihm, dass wir heutzutage bedauerlicherweise kein Bankkonto bei der Zentralbank eröffnen können, weil die Bankenregeln es nicht zulassen. Wenn allerdings wir Normalkunden und die Unternehmen das Geld auf ein Zentralbankkonto einzahlen könnten, wäre es nominal 100 % sicher (nicht inflationsbereinigt). Zudem würde sich die Anzahl an Bankenkrisen stark verringern und natürlich auch die anfallenden Kosten, die am Ende auf uns alle abgewälzt werden. Unser gegenwärtiges Geldsystem, und soweit ich es beurteilen kann, das der ganzen Welt, ist insoweit eigentümlich, als dass entgegen der Meinung vieler Menschen die Schöpfung des Geldes und seine Verteilung zum allergröβten Teil privatisiert ist: es sind hauptsächlich die Geschäftsbanken und nicht der Staat oder die Zentralbanken, die diese wichtige wirtschaftliche und soziale Funktion übernommen haben.

Es ist schon richtig, dass der Staat durch seine Zentralbank das Monopol auf die Ausgabe der Geldscheine und Münzen besitzt, was allerdings lediglich 10 % der gesamten Geldmenge in entwickelten Volkswirtschaften ausmacht. Die restlichen 90% sind “Einlagen” bei den Banken in Form von Buchungseinträgen in Computern. “Wer hat nun dieses elektronische Geld hergestellt?”, fragte mich mein Freund. Ich antwortete ihm, dass es fast ausschlieβlich die Geschäftsbanken selbst seien, die es schöpfen würden.

“Definiere mir, was Geld ist”, bat er mich. Ich entgegnete ihm: Das zu jeder Zeit verfügbare Geld in einem Land sind die in Umlauf befindlichen Geldscheine und Münzen, dazu unsere Depositen auf den Banken. Die Geldmenge ist der entscheidende Faktor für ein gesundes Wachstum zum Wohle aller. Das Geld wird auf zwei Arten geschöpft. Die eine ist: Das Geld kommt von der Zentralbank, wenn diese Bargeld druckt (Geldscheine und Münzen) und wenn sie elektronisches Geld schöpft, um es den Banken zu leihen (Reserven) oder, wie sie seit einiger Zeit tun, um öffentliche und private Anleihen zu kaufen (das sogenannte Quantitave Easing). Die andere ist: Das Geld wird von den Geschäftsbanken erzeugt, und zwar immer dann, wenn sie einen Kredit vergeben (mein Freund schaute mich nun recht fassungslos an). Umgekehrt wird auch Geld vernichtet, und zwar immer dann, wenn der Kredit zurückgezahlt wird oder wenn die Zentralbank den Finanzmärkten Liquidität entzieht oder Geldscheine und Münzen aus dem Verkehr ziehen sollte.

Sowohl die 10% an Bargeld als auch die 90% elektronisches Geld werden als Geld angesehen, und das, obwohl sie nicht das Gleiche sind. Und nun aufgepasst: Die Existenz des Bargeldes und des elektronischen Geldes, das die Banken auf Zentralbankkonten halten, wird vollständig vom Staat garantiert, zumindest in ihrem nominalen Wert, während die übrige, viel gröβere Geldmenge ein ganz anderes Dasein fristet. Und dieser Unterschied ist besonders wichtig, weil es das System unstabil und krisenanfällig macht. Man könnte sagen, dass das erstgenannte Geld sicher, während das zweite unsicher, damit minderwertig ist, letzteres hängt nämlich vom Wohl und Wehe der Banken ab.

Zugegeben, seit der letzten groβen Banken- und Finanzkrise von 2008 besteht die Zusicherung von seiten des Staates, die Einlagen jedes Kontoinhabers bis 100.000 € im Falle der Insolvenz einer Bank garantieren zu wollen. Allerdings deckt diese Summe bei weitem nicht das ganze elektronische Geld, das die Geschäftsbanken produziert haben. Zudem bedeutet dies eine groβe öffentliche Hilfe, zu der die Banken selbst wenig beitragen. Kein Privatsektor kann mit einer ähnlich groβen Unterstützung rechnen. An dieser Stelle bemerkte mein Freund, der weiterhin recht fassungslos dreinschaute, dass alles, was ich ihm erzählte, nicht gerade sehr beruhigend sei.

Das ist aber noch nicht alles, warnte ich ihn. Da das meiste umlaufende Geld von den Geschäftsbanken mittels eines Kredites erzeugt wird, ist dieses Geld mit Schuld und einem darauf fälligen Zins verbunden. Mach dir klar, sagte ich meinem Freund, dass das vom Staat geschöpfte Bargeld zinslos geschöpft wird, während auf das von den Geschäftsbanken erzeugte elektronische Geld Zinsen zu zahlen sind. Geschäftsbanken sind Privatunternehmen, die darauf aus sind, ihren Gewinn zu maximieren. Ihr Ziel ist es, so viele Kredite wie möglich zu vergeben (sie schaffen Geld und damit gleichzeitig Schulden), wobei sie der Nachfrage nach Krediten einzig und allein nach ihrem freien Ermessen nachkommen, ohne dabei allerdings die Bankenregularien missachten zu können. Darüber hinaus ist ihr Anspruch, die Anzahl säumiger Schuldner so gering wie möglich zu halten. Gleichwohl lässt sich feststellen, dass sich Bankenkrisen fast immer nach Perioden starker Kreditexpansion ereignen. In den Jahren vor Ausbruch der letzten Krise wuchs die Kreditrate um ein Vielfaches im Vergleich zum nominalen Bruttosozialprodukt, was das Problem der Überschuldung der Volkswirtschaften zur Folge hatte. Das geht solange gut, bis, wie es stets geschehen ist, der Zusammenbruch folgt.

Viele der schwerwiegenden, durch dieses Geldsystem verursachten Probleme versucht man dadurch abzuschwächen, dass man eine enorme Anzahl an komplexen Regulierungen für Banken erstellt, dazu Interventionen der nationalen und internationalen Aufsichtsbehörden durchführt sowie den Banken staatliche Hilfe leistet, sowohl finanzieller Art als auch in Wettbewerbsfragen (die Zahl der Banken nimmt ab, dafür werden die verbleibenden stets gröβer und mächtiger). Angesichts der Ergebnisse waren und sind die Regulierungsanstrengungen aber von sehr zweifelhafter Natur. Die Folge ist, dass Regierungen, Aufsichtsbehörden und Unternehmen sowie wir Bürger fast ständig um das Wohl und Wehe der Geschäftsbanken besorgt sein müssen: Im derzeitigen Geldsystem ist es nämlich leider so, dass wir ernste Probleme bekommen, wenn die Banken kein Geld mehr verdienen.

Die Geschäftsbanken erzeugen nicht nur das Geld, auf das die Gesellschaft so dringend angewiesen ist und das als Kredit und damit Schuld geboren wird, sondern entscheiden auch nach ihrem eigenen Ermessen, wer Kredit bekommt. Dabei beweisen sie immer wieder, dass ihre Entscheidungen fehlerhaft sind, wie die Immobilienkrise mehr als deutlich gezeigt hat. Wir leben in einem unstabilen Geldsystem, das darüberhinaus auch noch ungerecht ist.

Wenn nun die Geldschöpfung, also alles Geld, sowohl das Bargeld als auch das elektronische Geld, in die Hand des Staates und seiner Zentralbank überginge, hingen wir nicht so sehr von der Gestimmtheit des Bankensektors ab, damit Geld in die Wirtschaft flieβen kann. “Wem würde aber dieses neue Geld übergeben, das dann die Zentralbank schöpft?”, fragte mein Freund, mich nun mit ganz wachen Augen ansehend. Ich lieβ ihn wissen, dass wir diese Frage lieber einen anderen Tag behandeln würden, doch könnte man das Geld dem Staat zu seiner Verwendung übergeben oder den Bürgern als Dividende überlassen, möglich ist auch eine Mischung von beidem. Daraufhin sagte mir mein Freund, dass ihm die Situation, in der wir uns befinden, so erscheinen würde, als ob der Staat zum Beispiel die Strafjustiz privaten Einrichtungen übertragen hätte und nicht mehr den Richtern, und die Bürger wären zudem verpflichtet, für deren Dienst zu zahlen. Ich erwiderte ihm, dass das nicht unbedingt das Gleiche wäre, aber sein Vergleich wäre auch nicht ganz aus der Luft gegriffen. Am Ende unseres langen Gespräches schien es mir, als ob mein Freund die Zusammenhänge schon ein bisschen besser verstehen würde, dennoch blieb seine Besorgnis bemerkbar. Ich hoffe, dass er das Interesse an seiner Frage nicht verlieren wird, dazu ist sie wirklich zu wichtig. Er verabschiedete sich schlieβlich mit einer ganzen Reihe weiterer Fragen: “Warum ändert man nichts an dieser Situation und erlaubt mir, ein Konto bei der Zentralbank zu eröffnen? Warum können nur die Banken sicheres Geld bekommen, während alle anderen mit unsicherem Geld auskommen müssen? Warum findet nicht einmal eine Debatte darüber in der Öffentlichkeit statt?” Das sind wirklich gute Fragen, antwortete ich ihm. Ich empfahl ihm noch einige lesenswerte Bücher, Artikel und Videos zum Thema und machte ihm den Vorschlag, uns demnächst für ein weiteres Gespräch zu treffen.

Carlos Arenillas ist Ökonom, ehemaliger Vizepräsident der spanischen Börsenaufsicht und ehemaliges Direktoriumsmitglied der Spanischen Zentralbank.

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