1. Das wichtigste Argument von Teilen der Bankenlobby gegen einen digitalen Euro lautet: Die Banken bekommen Konkurrenz. Die Menschen könnten künftig ihre Euro lieber in einem digitalen Euro-Konto führen, dass von der EZB garantiert wird. Die Angst: Die Profite der Geschäftsbanken kommen unter Druck, da sie die billigen Kundeneinlagen verlieren. Es ist zudem nicht Aufgabe der Zentralbank das Kundengeschäft zu führen. Eine Bewertung von Kreditrisiken kann eine Zentralbank nicht leisten. Kunden würden also in Phasen niedriger Zinsen ihre Einlagen massenhaft zur EZB umschichten. Denn wenn die Ersparnisse bei der EZB sicherer sind, gäbe es keinen Grund die Einlagen bei der Hausbank zu führen.
Ich halte diese Sorge für übertrieben. Denn Geschäftsbanken mit soliden Geschäftsmodell und Einlagensicherung müssen einfach nur einen höheren Zins bieten, um Einlagen einzuwerben. Dies senkt die Profitabilität. Würde die EZB die digitalen Euro-Guthaben bei der Zentralbank aber nicht verzinsen, würde sich zur jetzigen Situation kaum etwas verändern. Daher ist eine gewisse Konkurrenz zu den Banken sogar wünschenswert. So wie verfügbarer öffentlicher Wohnraum die privaten Mieten dämpft, könnte die EZB damit den Druck auf riskante Geschäftsmodelle oder hohe Profitmargen zu Lasten der Kunden erhöhen.
Außerdem benötigen Banken auch – anders als oftmals behauptet – keine Einlagen, um Kredite zu vergeben. Banken finanzieren sich überwiegend über Schuldverschreibungen. Kundeneinlagen sind für Banken schlicht billiger. Um diese Bedenken aufzugreifen, wird jedoch über Höchstgrenzen für Kundeneinlagen bei der EZB diskutiert. Das Problem: Sind diese Grenzen sehr niedrig, stellt sich die Frage, warum Kunden dann den digitalen Euro nutzen sollten.
2. Zahlungsdienstleister sollen laut des Vorschlags Transaktionen mit dem digitalen Euro mit einer „angemessenen Gewinnspanne“ übermitteln, die von der EZB überwacht werden soll. Aus meiner Sicht kann der digitale Euro nur an Akzeptanz gewinnen, wenn Transaktionen deutlich günstiger ausfallen als bei übrigen Bank-Dienstleistungen. Wie das jedoch sichergestellt werden kann, ist bisher unklar.
Laut Art. 34 des Vorschlags für eine EU-Verordnung sollen Zahlungsdienstleister Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass die der EZB, nationalen Zentralbanken und Anbietern von Unterstützungsdiensten übermittelten Daten keine „direkte Identifizierung“ der Nutzer ermöglicht. Die EU-Kommission soll zugleich gemäß ihres Vorschlags Transaktions- und Obergrenzen für die Offline-Bestände festlegen (also das Speichergerät für „digitales Bargeld“). Dies entspräche dann einer Art Bargeldobergrenze. Die EZB soll hingegen für die Online-Obergrenze auf den Konten zuständig sein.
Es ist jedoch fraglich wie die EZB solche Höchstgrenzen für Zahlungen mit dem digitalen Euro durchsetzen will ohne in Echtzeit auf Benutzerdaten zuzugreifen, um festzustellen, ob mehrere Konten mit digitalen Euro-Beständen vorhanden sind. Denn die EZB müsste dazu ja auch wissen über wie viele digitale Euros ein Nutzer auf einem Offline-Speichermedium verfügt. Außerdem steigt womöglich das Risiko von Hackerangriffen, wenn zu viele Daten bei der EZB zentralisiert wären.
Damit Obergrenzen nicht zur Geldwäsche unterlaufen werden, ist ein solcher Datenabgleich kaum vermeidbar. Es muss aber sichergestellt werden, dass Offline-Transaktionen nicht nachvollzogen werden können, um eine echte Entsprechung zum Bargeld zu schaffen. Wenn dies nicht möglich ist, verstärkt dies die Notwendigkeit physisches Bargeld vor einer Verdrängung zu schützen.
3. Laut Artikel 5 Nr. 1 (b) der vorgeschlagenen Bargeldverordnung dürfen Geschäfte, abweichend von der grundsätzlichen Annahmepflicht, die Bargeldannahme verweigern, wenn das vorher zwischen Zahler und Empfänger vereinbart wurde. In der rechtlichen Praxis würde jedoch davon ausgegangen, dass der Kunde dem Bargeldausschluss zugestimmt habe, wenn ein Geschäft (oder gar staatliche Stellen) seine Ablehnung von Bargeld vor einer Transaktion deutlich kommuniziert hat. Wir kennen das von den Schildern: „Nur Kartenzahlung“. Für den digitalen Euro soll diese Ausnahme jedoch entkernt werden, indem verboten wird, die Annahme des digitalen Euro durch einseitige Erklärung in den Geschäftsbedingungen auszuschließen. Die Annahmepflicht für den digitalen Euro soll auch dann gelten, wenn ein Geschäft die Bargeldannahme ausschließt. Die EU-Kommission beansprucht aber auch die Kompetenz, in Eigenregie weitere Ausnahmen von der Annahmepflicht für Euro-Bargeld einzuführen. Die EU-Kommission würde das Vertrauen in den digitalen Euro daher stärken, wenn sie nicht nur die Annahmepflicht des digitalen Euros, sondern auch von Bargeld bis zu gewissen Obergrenzen verankern würde.
Dieser Kritik hat sich mittlerweile auch die EZB in einer Stellungnahme vom 13. Oktober 2023 angeschlossen. Sie schreibt dort, dass einseitige Ausschlüsse von Bargeld „Ex-Ante“ (im Voraus) durch Einzelhändler oder Dienstleister ausgeschlossen werden müssen und fordert die EU-Verordnung dahingehend anzupassen, „dass einseitige Ex-ante-Ausschlüsse von Bargeld verboten sind.“ Die EZB fordert „klarzustellen, dass (…) „sowohl Praktiken des Bargeldverbots (z. B. “Kein Bargeld”-Schilder an Geschäftseingängen oder Verkaufsstellen) als auch Vertragsbedingungen, die nicht individuell ausgehandelt wurden (z. B. vorformulierte Standardverträge)“ unzulässig seien.
Die geplante Ausgestaltung des digitalen Euro als Bargeldersatz auch im Präsenzhandel und die Absicht, eine allgemeine Annahmepflicht zwar für den digitalen Euro einzuführen, nicht aber für Bargeld, nährt daher de Verdacht, dass physisches Bargeld verdrängt, statt ergänzt werden soll. Damit würde auch die Unabhängigkeit des Zahlungsverkehrs von ausländischen Finanzkonzernen geschwächt.
4. Dem Ziel der größeren technologischen Autonomie läuft auch die Absicht der EZB zuwider, einen Teil ihrer IT-Anwendungen in die Cloud zu verlagern und dabei auch auf Dienste großer US-Dienstleister wie Amazon Web Services (AWS), Microsoft und Google zu setzen. Ich hatte bereits 2014 in meiner Zeit im EU-Parlament enthüllt, dass die EZB zentrale Kommunikation über den IT-Dienstleister Verizon abwickelt. Es wurde jedoch im Zuge der NSA-Affäre bekannt, dass Verizon verpflichtet wurde, eng mit den US Sicherheitsbehörden, zusammenzuarbeiten. Um Spionage abzuwehren, hatte das deutsche Innenministerium die Zusammenarbeit mit Verizon beendet. Die EZB hielt damals an der Zusammenarbeit fest. Die EZB hat hier in ihrer Technologiepolitik ein Glaubwürdigkeitsproblem.