Das Thema “Digitales Zentralbankgeld”, auch Central Bank Digital Currency (CBDC) genannt, hat aktuell Hochkonjunktur und wird aller Voraussicht nach auch zukünftig kontrovers diskutiert. Wir – als Monetative e.V. – begrüßen die Aufmerksamkeit die dieses wichtige Thema damit erfährt. In diesem Zusammenhang mehren sich aktuell immer wieder auch kritische Stimmen, die in Veröffentlichungen Zusammenhänge und Argumente anführen, auf welche wir im nachfolgenden Bezug nehmen möchten. So wurde in der Onlineausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 14.06.2019 ein Artikel von Agustín Carstens unter dem Titel „Ideen zur Zukunft des Geldes“ zu digitalem Zentralbankgeld veröffentlicht, der dem Thema skeptisch gegenübersteht und auch auf der Website der Deutschen Bundesbank erschien. Im Artikel werden vom Generaldirektor der BIZ (Bank für Internationalen Zahlungsverkehr) jedoch verschiedene Aussagen zu Technologie, Ausgestaltung, Erzeugung und der Rolle der Zentralbank getroffen, die aus unserer Sicht und im Sinne einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung einer näheren Ausführung bedürfen. Nachfolgend werden wir die getätigten Zitate sukzessive näher beleuchten.
Hier finden Sie das vollständige Schreiben auch als PDF-Datei.
„Doch die Technologie, die digitalen Tokens zugrunde liegt, ist noch wenig erprobt.“
Herr Carstens hat hier wahrscheinlich Krypto-Tokens im Sinn, die auf der Distributed Ledger Technologie basieren und auf einer Blockchain gespeichert werden. Tatsächlich ist Token basiertes Geld bereits seit 20 Jahren in Form von E-Geld-Karten erprobt. Das Geld wird dabei direkt auf der Karte, als Token, gespeichert und ist nicht zwangsweise an ein Konto gebunden. E-Geldkarten, wie beispielsweise die Geldkarte in Deutschland, werden vielleicht nicht weitläufig genutzt, die zugrundeliegende Technologie ist jedoch ausgereift und kann ohne Probleme von einer Zentralbank oder einem Zahlungsdienstleister implementiert werden.
„Diese Abwicklungskonten sind derzeit die einzige Form von elektronischem Zentralbankgeld. Nur Geschäftsbanken sind berechtigt, solche Abwicklungskonten zu halten. Debattiert wird, ob diese Berechtigung auf andere Akteure ausgeweitet werden soll.“
Zwar haben primär Geschäftsbanken Zugang zu dem digitalen Zentralbankgeld und somit zu deren Bilanz haben, allerdings haben in einigen auch andere Akteure Zugriff auf Zentralbankkonten – unter anderem E-Geld Institute und andere Zahlungsdienstleister. Zudem führen öffentliche Institutionen Konten bei der Zentralbank. Bei der Bundesbank ist dies bekannt als Hausbankverfahren.
„Banken spielen eine wichtige Rolle als Anbieter von Finanzdienstleistungen für Privatpersonen und Unternehmen. Man stelle sich vor, dass die Bundesbank (oder auch die EZB) allen Bürgerinnen und Bürgern Einlagekonten anbieten würde und dass sie Debitkarten und mobile Zahlungs-Apps zur Verfügung stellen würde. Die Zentralbank wäre also im kundenorientierten Bankgeschäft tätig und würde somit neue Aufgaben übernehmen.“
Das ist nicht zwingend erforderlich. Im Rahmen der Debatte um digitales Zentralbankgeld werden auch Modelle diskutiert, bei dem Drittparteien als Treuhänder oder Intermediäre zwischen Zentralbank und Endkunden agieren. Beim Treuhänder-Modell verwalten private Finanzdienstleister oder öffentliche Einrichtungen das Zentralbankgeld treuhänderisch bei der Zentralbank im Auftrag des Endkunden. Beim Intermediär-Modell hält der Endkunde Giralgeld oder E-Geld bei Banken oder E-Geldinstituten, die dieses zu 100% mit Zentralbankgeld decken. In beiden Modellen hat der Endkunde indirekten Zugriff auf Zentralbankgeld, ohne dass die Zentralbank mit dem Endkunden in Kontakt tritt.
„Sicherheit könnte ein wichtiger Grund für Geldeinlagen bei der Zentralbank sein. In Krisenzeiten würden Kunden ihr Geld eher bei der Zentralbank als bei Geschäftsbanken halten wollen. Geldeinlagen könnten zur Zentralbank verschoben werden, zunächst vielleicht nur vereinzelt. Doch irgendwann käme es womöglich zu einem Dammbruch – einer Flucht in den ‘sicheren Hafen’.”
Da Konteninhaber ihr Geld bereits heute in Bargeld als sichere Anlage konvertieren können, wäre der Zugang zu digitalem Zentralbankgeld lediglich die digitale Erweiterung dieser bestehenden Möglichkeit. Der angedeutete Dammbruch könnte in diesem Fall ein Bankrun sein, der jedoch in einem CBDC-System besser aufgefangen werden könnte. Bei CBDC kann die Zentralbank den betroffenen Banken sofort digital Liquidität bereitstellen, ohne dass das Geld physisch zu Geldautomaten transportiert werden muss. Generell eröffnet die Einführung von CBDC den Zentralbanken potentiell einen deutlich größeren und direkteren Handlungsspielraum. Gleichzeitig verschafft ein CBDC Anreize zur Disziplinierung der Geschäftsbanken und einer Stärkung des Wettbewerbs um Einlagen.
„Wenn aber Kundengelder zur Zentralbank verschoben würden, müssten sich auch die Kredite verschieben. Die Zentralbank wäre also zusätzlich zum Einlagegeschäft und zum Zahlungsverkehr neu auch im Kreditgeschäft tätig. Sie würde mit Unternehmern in Kontakt treten, müsste sie zu ihrem Kreditbegehren befragen und über die angemessene Kredithöhe entscheiden. Eine weitere neue Aufgabe.“
Die Einführung von digitalem Zentralbankgeld ist keineswegs mit Zentralbankkrediten an Unternehmen verbunden. Digitales Zentralbankgeld kann reaktiv oder proaktiv erzeugt werden. Reaktiv bedeutet, dass digitales Zentralbankgeld auf Nachfrage der Wirtschaft und der Bevölkerung erzeugt wird – so wie bereits Bargeld heutzutage. Die Emission erfolgt dabei im Tausch gegen bestehendes Giralgeld oder Bargeld. Banken müssen sich beim Umtausch von Giralgeld in digitales Zentralbankgeld dann Zentralbankreserven durch einen Zentralbankkredit, den Kapitalmarkt oder ihre Kunden beschaffen. Genauso passiert das heute schon bei der Umwandlung von Giralgeld in Bargeld. Proaktiv hingegen bedeutet, dass neues Geld auf Initiative der Zentralbank erzeugt wird. Diese Erzeugung wurde bisher u.A. in der Form von Helikoptergeld diskutiert, also jedem Bürger einen bestimmten Betrag auf seinem Konto gutschreibt. Weder das reaktive oder proaktive Erzeugen von digitalem Zentralbankgeld würde dazu führen, dass Zentralbanken mit Unternehmen in Kontakt treten und die Funktion der Kreditvergabe an Unternehmen übernehmen. Hier wird eine Nähe des Digitalen Zentralbankgelds zu Praktiken in früher sozialistischen Ländern suggeriert, die so nicht nachgewiesen werden kann.
„Ist das das Finanzsystem, das wir gerne hätten? Dieses Gedankenexperiment geht vielleicht etwas zu weit. Die Zentralbank könnte natürlich auch auf eine Beteiligung am Kreditgeschäft verzichten, wenn sie ihre Kundeneinlagen an die Geschäftsbanken weitergeben und eigene Konten bei ihnen eröffnen würde. Faktisch würde die Zentralbank den Geschäftsbanken dann Geld leihen, mit dem diese ihren Kunden Kredit gewähren könnten.“
Um die wie bereits beschriebene fiktive Kreditvergabe an Unternehmen zu verhindern, könne die Zentralbank, so Carstens, ihre Kundengelder an die Banken verleihen, die wiederum damit ihren Kunden Kredite gewährt. Herr Carstens spricht hier von einer seltsamen Variante eines Vollreservesystems, bei der die Zentralbank Kundengelder sammelt und diese an Geschäftsbanken weiter verleiht. Ein solches System wird ebenfalls in keiner wissenschaftlichen Publikation beschrieben. In einem CBDC-System hat die Zentralbank die Aufgabe, die Kundengelder sicher zu verwahren und nicht weiter zu verleihen. Das von Herr Carstens beschriebene System entspricht nicht der Intention oder Definition von digitalem Zentralbankgeld.
„Digitales Zentralbankgeld, das auf Tokens statt auf Konten basiert, dürfte weniger anfällig für eine solche strukturelle Verschiebung zulasten des Geschäftsbankensektors sein, da sich die ausstehende Geldmenge festlegen lässt. Allerdings stellt sich dann die Frage, ob der Wert der digitalen Tokens eine Prämie gegenüber Geschäftsbankeinlagen aufweisen würden. Und ob eine solche Prämie in Krisenzeiten und mit sich verändernden Finanzierungsbedingungen schwanken würde. Höhere Zinssätze für Geschäftsbankeinlagen dürften in ruhigen Zeiten ausreichen, um die Einlagen zu halten. Doch es ist ungewiss, ob dies auch in turbulenten Phasen der Fall wäre, wenn die oben erwähnte unvermeidliche Flucht in den „sicheren Hafen“ einsetzt.“
Die Geldmengensteuerung hat nichts mit der zugrundeliegenden Technologie zu tun. Auch bei einer kontenbasierten Lösung ließe sich die Geldmenge steuern. Die Zentralbank könnte dabei die Kundenkonten getrennt von den übrigen RTGS-Konten führen, um die Geldmenge im Blick zu haben, und die Guthaben verzinsen, um ein Steuerungsinstrument zu besitzen. Eine echte Fixierung der ausstehenden Geldmenge ließe sich aber nur realisieren, wenn eine Konvertierung in Sichteinlagen oder Bargeld ausgeschlossen wird oder nur über einen Sekundärmarkt erfolgen dürfte.
„Zudem würde eine rege Nachfrage nach digitalem Zentralbankgeld quasi automatisch zu einer Ausweitung der Zentralbankbilanz führen. Die Zentralbank müsste in dem Fall wohl zusätzliche Aktiva halten, beispielsweise Staatsanleihen, Forderungen an Geschäftsbanken oder internationale Währungsreserven. Der Erwerb solcher Aktiva könnte zu Störungen an Schlüsselmärkten oder zu einem Versiegen der Liquidität führen. Zumindest in einer Übergangsphase könnten diese Veränderungen die Art und Weise, wie die Geldpolitik die Wirtschaft beeinflusst, komplett auf den Kopf stellen. Zentralbanken nehmen dies nicht auf die leichte Schulter.“
Unter Berücksichtigung der aktuellen Situation in der Eurozone würde eine rege Nachfrage nach digitalem Zentralbankgeld nicht automatisch zu einer Ausweitung der Zentralbankbilanz führen. Quantitative Easing hat die Zentralbankbilanz bereits massiv ausgeweitet. Durch die Anleihenkäufe sind rund 35% der Geldmenge M1 durch Zentralbankreserven gedeckt. Diese Menge könnte sofort als CBDC in Umlauf gebracht werden ohne, dass die Zentralbankbilanz weiter ausgeweitet wird. Es stellt sich zudem die Frage, warum die massive Ausweitung der Zentralbankbilanz jetzt bei digitalem Zentralbankgeld ein Problem darstellen soll, bei Quantitative Easing-Maßnahmen jedoch nicht?
„Im vergangenen Jahr befragte der bei der BIZ angesiedelte Ausschuss für Zahlungsverkehr und Marktinfrastrukturen (CPMI) Zentralbanken zum Thema digitale Währungen. Mehr als 60 Zentralbanken in Ländern, die zusammen 80% der Weltbevölkerung ausmachen, nahmen an der Umfrage teil. 70% von ihnen gaben an, sich mit dem Thema digitaler Währungen zu beschäftigen. Zumeist werden Varianten sowohl für den Interbankmarkt als auch für die Allgemeinheit ins Auge gefasst. Nur ungefähr die Hälfte der Zentralbanken führt jedoch konkrete Tests durch und nimmt eine konzeptionelle Prüfung der Vorteile, Risiken und Herausforderungen bei der Ausgabe einer digitalen Währung vor. Und lediglich eine Handvoll experimentiert im Rahmen von Machbarkeitsstudien oder Pilotprojekten mit verschiedenen möglichen Technologien. Wenn man noch einen Schritt weiter geht und die Zentralbanken fragt, ob sie die Absicht haben, eine digitale Währung auszugeben, ist das Ergebnis recht aufschlussreich. Ganz wenige Zentralbanken rechnen damit, kurz- bis mittelfristig diesen Weg zu beschreiten, ob es sich nun um eine digitale Währung für den Interbankmarkt oder für die Allgemeinheit handelt. Forschungsarbeiten und Versuche haben bisher keine überzeugenden Argumente geliefert. Insgesamt sehen Zentralbanken derzeit also keinen Vorteil darin, sich in unerforschtes Terrain vorzuwagen.“
Herr Carstens erwähnt in diesem Abschnitt nicht, dass eine Intermediär-Variante von digitalem Zentralbankgeld bereits im südamerikanischen Staat El Salvador implementiert ist. Dort sind E-Geld Institute rechtlich dazu verpflichtet ihre Kundengelder bei der Zentralbank zu halten. Die Deckung soll das Vertrauen der Kunden in das System erhöhen. Dies hat sich in der Praxis auch bewahrheitet, denn das 100% E-Geld hat sich zu einem beliebten Zahlungsmittel im Land etabliert. Ein solches indirektes Zentralbankgeld ist rechtlich auch in England, Litauen, Brasilien und Kolumbien umsetzbar. Dort können E-Geld Institute ihre Kundengelder bei der Zentralbank halten oder in andere risikoarme hochliquide Vermögenswerte investieren. In diesen Ländern ist die Emission des digitalen Zentralbankgeldes also von privaten Akteuren abhängig.
„Die Zentralbanken beherzigen das Sprichwort ‘Zuerst wägen, dann wagen’. Sie gehen behutsam vor und prüfen sorgfältig alle relevanten Aspekte. Wenn nötig, hissen sie die Warnflagge. Zentralbanken sind sehr offen für Innovationen. In den wenigen Fällen, in denen sie auf das Bremspedal treten, geschieht dies aus gutem Grund. Sie müssen sicherstellen, dass Innovationen der Wirtschaft, den Unternehmen, den Bürgerinnen und Bürger und der Gesellschaft als Ganzes zu Gute kommen. Und das ist es, was sie derzeit tun.“
Innovationen sollten, wie Herr Carstens richtig darstellt, erst in ausreichendem Maße analysiert und überprüft werden, bevor man mit ihrer Adaption beginnt. Hierfür bedarf es im Falle von digitalem Zentralbankgeld, neben den Notenbanken als Akteure, jedoch auch politischer Weichenstellungen. Das holländische Parlament zum Beispiel hat schon 2016 beschlossen, dass allen Bürgerinnen und Bürgern Hollands ein Zugang zu einem Zentralbankkonto einzurichten ist. Die Zentralbanken sollten diesen Prozess unterstützen und im argumentativen Dialog vorantreiben. Auch das Geldsystem muss sich wie andere Bereiche der Gesellschaft der Digitalisierung stellen. Ein digitales Zentralbankgeld bietet vielfältige Möglichkeiten eine stabilere Währung und einen sicheren Zahlungsverkehr in einer digitalisierten Gesellschaft zu ermöglichen.
Hier finden Sie das vollständige Schreiben auch als PDF-Datei.